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Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Titel: Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
Autoren: Marlies Ferber
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geöffnet wurde. Schließlich war es lange genug sein Beruf gewesen, gerade die Menschen zu bemerken, die sich Mühe gaben, nicht bemerkt zu werden. Vom plötzlichen Luftzug hellwach geworden, hatte er sich sofort schlafend gestellt. Es war Miss Hunt. Sie schlich auf Zehenspitzen an sein Bett und blieb dort für einen Moment stehen, bevor sie sich ebenso geräuschlos wieder entfernte und die Tür hinter sich schloss.
     
    Jetzt schien die Sonne durch die drei bodentiefen Fenster seines geräumigen Zimmers. James beeilte sich mit dem Ankleiden und wählte die Nummer des Empfangs. Mrs White war sofort am Telefon. »Mr Gerald, guten Morgen.«
    »Guten Morgen, Mrs White. Sagen Sie, könnten Sie mir bitte einen Rollator bringen lassen? Ich möchte zum Frühstück gehen. Sie haben sicherlich bemerkt, dass ich noch etwas schwach auf den Beinen bin nach meinem Krankenhausaufenthalt. Eine Gehhilfe hat mir dort gute Dienste geleistet.«
    »Oh, aber Mr Gerald, so etwas brauchen Sie hier nicht! Sie sind in Eaglehurst! Helfen mit Herz und Hand   – das ist unser Leitspruch. Technik beschränken wir auf das Notwendigste. Unsere Betreuung ist intensiv und sehr persönlich, wie in einergroßen Familie. Das ist es, was uns so einzigartig macht. Ich bin gleich bei Ihnen!«
    Keine fünf Minuten später klopfte Mrs White an die Tür seines Apartments.
    »Mr Gerald, ich hoffe, Sie haben gut geschlafen trotz all der Aufregung gestern. Wirklich ein ausgesprochenes Unglück, dass Mr Morat gestern so plötzlich   – nun ja.«
    »Mr Morat?«, fragte James irritiert.
    »Sagte ich Morat? Entschuldigen Sie, ich bin noch ganz durcheinander. Ich meinte natürlich Mr Maddison.«
    James hakte sofort nach. »Wer ist Mr Morat?«
    Mrs Whites Gesichtsausdruck wurde verschlossen. »Ein früherer Bewohner.«
    »Ist er verstorben?«
    »Ja.«
    »Aha«, sagte James und versuchte es mit einem Scherz: »Etwa auch beim Bingo?«
    Mrs White antwortete nicht, sondern schaute mit hochgezogenen Augenbrauen an ihm vorbei. James hatte ihren Sinn für Humor überschätzt. Schnell wechselte er das Thema und plauderte mit Mrs White über das Wetter, während sie wie ein altes Ehepaar untergehakt über den abgenutzten roten Läufer zum Aufzug schlenderten.
     
    Im Speisesaal angekommen, steuerte Mrs White mit ihm auf die Schwestern Hideous zu. Eleonora nippte gerade an ihrem Tee, während Edith ihren Toast butterte. Beide nickten James lächelnd zu.
    »Nein, Mrs White«, sagte James, »ich möchte heute Morgen gern an einem anderen Tisch sitzen. Ich habe es mir gewissermaßen zur Gewohnheit gemacht, keine festen Gewohnheiten anzunehmen. Das hält jung, meinen Sie nicht auch?«
    »Wie Sie wollen«, sagte Mrs White frostig.
    James ahnte, was sie dachte: Ein Sonderling mehr oder weniger unter den Bewohnern, darauf kam es auch nicht an. James winkte lächelnd zum Tisch der Schwestern hinüber und peilte mit Mrs White einen Tisch am Fenster an. Dort saß ein glatzköpfiger Herr im Tweedsakko, vor sich einen großen Teller mit Würstchen, Speck, gegrillten Tomaten, Spiegeleiern und Champignons. Aus einem kleinen Kassettenradio auf seinem Schoß schepperte Marschmusik, und er schaute konzentriert aus dem Fenster.
    »Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze?«, fragte James. Der andere nickte, wendete den Blick jedoch nicht vom Fenster ab. Mrs White zog sich zurück, nachdem James Platz genommen hatte. Erfreut sah er den kleinen Aufkleber auf der Thermoskanne, die vor ihm stand: Kaffee. Er goss sich eine Tasse ein und probierte. Instantkaffee, lauwarm. Das hätte er sich denken können. Er beobachtete seinen Tischnachbarn, der immer noch aufmerksam aus dem Fenster sah. Sein Kopf bewegte sich kaum merklich im Takt der Marschmusik. James folgte seinem Blick und wusste plötzlich, was mit ihm los war.
    »Der Mann da hinten geht ganz genau im Takt der Musik!«, bemerkte James.
    »Ja!«, rief sein Tischnachbar aufgeregt, »ist das nicht bemerkenswert? Und sehen Sie, die Frau da vorn! Sie ist zwar viel langsamer, aber es passt trotzdem. Und die Art, wie sie ihre Tasche dabei schwenkt, großartig: Dumm-di-di-di-dumm-di-di-di-dumm.«
    James zeigte auf einen Halbwüchsigen, der mit kurzen Schritten daherzockelte. »Nur der da, das passt vorne und hinten nicht!«
    Der Mann wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah James zum ersten Mal an: »Stimmt, der ist zu unmusikalisch!«
    Einen Moment lang war James verwirrt, dann lachte der andere wiehernd, und James begriff, dass das ein
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