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Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst

Titel: Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
Autoren: Marlies Ferber
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jenseits der vierzig. Wahrscheinlich hatte das etwas mit seinem Realitätssinn zu tun und damit, dass das Interesse jüngerer Frauen an ihm inzwischen, falls überhaupt vorhanden, eher auf geistiger Ebene anzusiedeln, wenn nicht sogar fürsorglicher Natur war.
    »Kürzlich mit Mr Morat war es ähnlich«, unterbrach MissHunt seine Betrachtungen. »Er starb ganz plötzlich. Von einem Augenblick auf den anderen.«
    Als er den Namen seines Freundes hörte, wurde James hellwach. »Waren Sie dabei?« Miss Hunt hob fragend den Kopf. »Als er starb, dieser Mr   …«, ergänzte James ungeduldig.
    Der Fahrstuhl hielt an, und Miss Hunt reichte James ihren Arm. »Morat«, sagte sie, »Mr Morat. Ja. Ich habe ihn gefunden. Er war im Salon zusammengebrochen. Es war furchtbar. Er ist in meinen Armen gestorben.«
    »Hat er noch etwas gesagt?«
    »Nein. Er hat mich nur angeschaut, und dann wurden seine Augen   …«
    Miss Hunt schluchzte auf. James war bewusst, dass eigentlich er Miss Hunt tröstend den Arm um die Schulter hätte legen sollen, statt sich von ihr den Flur entlangführen zu lassen.
    »Ich glaube, das ist nicht der richtige Beruf für mich«, stieß Miss Hunt hervor. Sie fuhr sich wie ein kleines Mädchen mit dem Ärmel über das Gesicht, um die Tränen wegzuwischen. Danach waren sowohl ihre Augen als auch der Ärmel ihres weißen Pullovers von Wimperntusche verschmiert. »Eigentlich wollte ich Erzieherin werden, aber ich habe keinen Ausbildungsplatz bekommen. Das hier ist furchtbar. Dieses Elend. Ich will nicht, dass das Leben so ist. Ich will nicht immer wieder mit ansehen, wie Leute sterben. Ich träume davon. Ich wache nachts mit Herzrasen auf, weil ich träume, ich selbst bin alt und wohne im Altenheim und   …«
    »Haben Sie heute Nachtdienst?«, unterbrach James ihren Gefühlsausbruch.
    »Ja, warum?«, fragte sie erstaunt.
    Er reichte der jungen Pflegerin ein Taschentuch. »Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass hier nachts jemand nach Ihnen klingelt, weil er Albträume hat?«
    Miss Hunt sah ihn nachdenklich an, dann nahm sie das Taschentuch und schniefte in jede der Ecken einmal laut hinein. »Entschuldigen Sie bitte.«
    »Nein, nein, schon gut. Ich wollte Ihnen nur vor Augen führen, dass viele Dinge von außen betrachtet schlimmer aussehen, als sie für den Betroffenen sind. Das gilt zum Beispiel für das Alter. Und ich glaube, sogar für das Sterben.«
    Sie waren an der Tür von James’ Apartment angekommen. »Vielen Dank für die freundliche Begleitung«, sagte James. »Ich wünsche Ihnen einen   – wie soll man sagen   – möglichst guten Abend unter den gegebenen Umständen. Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen, die ganz Sache, lenken Sie sich ab!«
    »Wie soll ich das denn anstellen?« Miss Hunt schloss die Zimmertür auf. »Ich habe Nachtdienst, und ich weiß genau, dass bis morgen früh ständig nach mir geklingelt wird, weil sie es alle kaum erwarten können, mit mir über Mr Maddison zu reden. Bei Mr Morat war es genauso. Die ganze Nacht haben sie geklingelt und mich ausgefragt, es war nicht zum Aushalten.«
    Miss Hunt schickt der Himmel, dachte James. Sie ist ja noch nützlicher, als ich gedacht hatte. Eine Informationsquelle erster Güte.
    »Halten Sie durch!«, riet er ihr väterlich. »Ihnen ist doch hoffentlich klar, dass Sie den vielen verängstigten Menschen, die hier leben, damit einen großen mitmenschlichen Dienst erweisen, nicht wahr? Das kann man gar nicht hoch genug schätzen.«
    »Meinen Sie wirklich?«
    »Ja, Miss Hunt, genau so ist es«, versicherte James. »Sie müssen verstehen, die Menschen, die den Tod dieses armen Mannes mit ansehen mussten, sind schockiert, und es tut ihnen gut, darüber zu reden. Auf diese Weise können sie das, was geschehen ist, verarbeiten. Und im Übrigen ist dies auch für Sieselbst das Beste. Indem man anderen hilft, hilft man auch sich selbst, ist es nicht so?«
    Miss Hunt nickte tapfer. »Mr Gerald, Sie haben recht. Es tut mir leid, ich bin selbstsüchtig gewesen.«
    »Aber nein, Miss Hunt, keineswegs«, beruhigte James die Pflegerin. Es war wichtig, dass sich seine Informationsquelle jetzt nicht in Selbstmitleid vergrub, sondern in dieser Nacht auf ihrem Posten blieb.
    »Und ich verspreche Ihnen, dass zumindest ich Sie heute Nacht nicht belästigen werde. Ich werde schlafen wie ein Stein.«
    Miss Hunt lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. »Bei Ihnen wäre es doch etwas anderes, Mr Gerald!« James fiel auf, dass ihre beiden oberen
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