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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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mischte, als Sascha wieder zu sich kam und erkannte, was mit ihm geschah.
    Das Heulen ging in ein Husten und Würgen über. Das Bild drehte sich und kam nicht mehr zum Stillstand. Weißer Schaum spülte darüber hinweg, und das war das Letzte, was Ella von Sascha sah. Das letzte aber, was das Handy übertrug, waren die Köpfe von Halil, Amal und Rashido, die mit ausdruckslosen Mienen in das Innere der Maschine starrten und sich dabei, durch das schlierige Glasfenster der Trommelklappe verzerrt, immer schneller um sich selbst drehten.

7 0
    Es war der Tag, an dem Ella dem Teufel begegnete. Sie saß an Annikas Bett in einem Einzelzimmer der Mills Clinic und wartete darauf, dass Anni aufwachte, obwohl sie wusste, dass es zu früh dafür war. Sie hatte das Fenster geöffnet. Sie dachte, dass Anni das Rauschen der Bäume im Park bestimmt gerne hörte, da, wo sie gerade war.
    Annika lag auf dem Rücken, mit geschlossenen Augen und einem Gazeturban um den Kopf. Sie konnte noch nicht transportiert werden, aber seit der Operation in der vergangenen Nacht hatte sich ihr Zustand ständig gebessert. Auf der kleinen Konsole neben ihrem Bett stand eine schmucklose Lampe, deren Licht kaum über das Kopfkissen hinausreichte. Es gab sonst nicht viel in dem Zimmer, nur die Maschinen, die sie mit Nahrung versorgten und ihre Herzschläge aufzeichneten, während sie sich gesund schlief.
    »Das war dann das Ende«, sagte Ella, »genau wie in dem Videoclip von Rashido. Bis sich jemand darum kümmern konnte, war Sascha schon tot. Leider ist dadurch das Handy unbrauchbar geworden, hat zumindest die Polizei gesagt. Schade. Ich hätte wirklich gern gewusst, was all diese Menschen im letzten Moment ihres Lebens auf dem Display gesehen haben. Was ihnen so eine Heidenangst eingejagt hat.«
    Sie war selbst todmüde. Sie hatte ein paar Stunden in einem nahegelegenen Hotel geschlafen, aber sie war noch immer so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte. Sie blickte zu ihrem Handy hinüber, das neben ihrer Handtasche auf dem leeren Nachbarbett lag. Das Display leuchtete auf, ein rötlicher Schimmer, der flackernd hell und wieder dunkel wurde. Es gab keinen Klingelton, nur das schwache rötliche Flackern.
    Auf einmal öffnete Annika die Augen. Sie drehte den Kopf und sah ebenfalls zum Nachbarbett hinüber. »Bächlein, du musst rangehen«, sagte sie.
    Als das Flackern des Telefons nicht nachließ, griff sie schließlich danach. Auf dem Display fand sich weder eine Nummer noch ein Name. Sie sah etwas, das zuerst an einen Rorschach-Test erinnerte, rot und schwarz, und das sich bewegte wie das Innere einer Lavalampe. Auf einmal formten sich daraus die Umrisse eines Gesichts. Es konnte nur ein Gesicht sein, das von innen gegen den Touchscreen drängte, als wollte es sich hindurchbrennen. Während sie auf das Bild starrte, spürte Ella, wie sich etwas um sie herum auftat, eine grauenhafte schwarze Leere. Sie konnte ihren Blick nicht von dem schemenhaften Gesicht lösen, und gleichzeitig fühlte sie, wie sie den Boden unter den Füßen verlor, wie da plötzlich nichts mehr war. Wie sie über diesem Nichts schwebte, das sie zu verschlingen drohte und das gleichzeitig aus den Augenhöhlen dieses Gesichts in ihre Seele strömte.
    Das war es, dachte sie, das war es, was die Menschen gesehen haben, bei ihrem letzten Blick auf ihre Handys.
    Das Gerät in ihrer Hand war so heiß, dass es ihre Finger versengte. Sie wollte es loslassen, aber sie konnte nicht, und die ganze Zeit pulsierte das schwarze Rorschach-Gesicht hinter dem Display, brannte sich nicht nur in den Touchscreen, sondern in ihren Kopf. Plötzlich spürte sie, wie ihre Gesichtshaut sich spannte. Knisternd schienen sich dünne Risse zu bilden, wie in ausgetrockneter Erde bei einer Dürre, weil ihr Schädelknochen seine Form veränderte. Ein unerträglicher Schmerz wütete hinter ihrer Stirn, ihren von innerer Glut versengten Augen. Zischend wand sich ihre Zunge unter dem kochend heißen Gaumen, krümmte sich; alle Feuchtigkeit verdampfte in ihrem Körper.
    Ich will das nicht sehen, dachte sie; ich will lieber tot ein, als das zu sehen und zu spüren, was es mit mir macht. Die ganze Zeit sah Anni sie an, ohne etwas zu sagen. Ihr Gesicht schwebte über dem Kissen, im Lichtschein der Lampe auf dem Nachttisch. Warum sagt sie nichts?, dachte Ella. Sie muss doch bemerken, was mit mir vorgeht! Aber Anni beobachtete sie nur teilnahmsvoll.
    Ella bekam kaum noch Luft. Ihr Herz schlug immer langsamer;
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