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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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zu. Die Schwester gehorchte, und Ella behielt die Stelle im Auge, und da, an der Oberseite des Cerebellums: Eine der Brückenvenen war unter dem Druck gerissen und schlug um sich wie ein Blut spritzender Gartenschlauch, aber Julian unternahm trotzdem nichts, verlangte nicht nach der elektronischen Pinzette, um die Blutung zu verschließen – sie stirbt doch, warum tust du nichts? –, und dann begriff Ella, dass es viel zu viel Blut für nur eine Quelle war.
    Hinter ihrer Stirn begann eine Sirene zu schrillen . Sie hörte Annikas Herz, es schlug bedroh lich langsam, dumpf hallte jede Kontraktion im OP nach. Sie stirbt, sie stirbt, um Himmels willen, tu doch was, sie stirbt! Einen Moment lang hatte Ella das entsetzliche Gefühl, dass Julian absichtlich nicht eingriff, dass er das Hämatom mit voller Absicht gestreift hatte. Ihre beste Freundin musste sterben, damit sie, Ella, leben konnte. Aber so will ich nicht leben, begreif das doch, Julian, so will ich um keinen Preis der Welt weiterleben!
    »Das war’s dann wohl«, sagte Cassidy hinter ihr. Er hielt sein Handy hoch, sodass sie das Display sehen konnte. »Sieh einer an, da ist wieder dieser irre Jünger von Mad Oliver, der im Internet live aus Ihrer Klinik in Berlin von seiner Geiselnahme berichtet. Ich frage mich, was der für einen Server hat, dass er im Tiefgeschoss eines Krankenhauses ein Netz kriegt. Oder hat er eine Datenleitung der Klinik angezapft?«
    Er schien sich nicht mehr für die Vorgänge auf der anderen Seite der Schwingtür zu interessieren. »Hey, sieht so aus, als würden sie ihm gerade den Saft abdrehen.«
    Das kann nicht sein, dachte Ella, er hat doch gesagt, wenn sie irgendwas unternehmen, lässt er alles hochgehen!
    Zuerst wirkte das Bild noch genauso wie beim letzten Mal, als Ella den Livestream verfolgt hatte, nur dass es jetzt den Anschein hatte, als wäre Sascha nicht mehr wirklich Sascha, sondern eine Art menschliches Hologramm. Er schien zu flackern, und seine Haut war eher grünlich und blau. In dem Traforaum war es schon vorher dunkel gewesen, aber während sie hinsah, wurde es noch etwas dunkler.
    »Ich empfange keine Bilder mehr von meinen Kameras«, sagte Sascha leise mit der Stimme eines Verdurstenden, der trotzdem zu allem entschlossen schien. »Sie sind alle ausgefallen oder manipuliert worden. Ich weiß nicht, was sie gemacht haben. Vielleicht haben sie das Stromnetz abgeschaltet, aber das wird ihnen nichts nützen. Ich habe ihnen verboten, das zu tun. Sie halten sich nicht daran. Sie glauben nicht, dass ich es ernst meine. Als Nächstes schalten sie die …«, das Bild flackerte, und der Ton blieb sekundenlang weg, »… Klimaanlage … Wasserversorgung … aber ich habe immer noch …«
    Dann erloschen Bild und Ton gleichzeitig, und das Display wurde schwarz. »Das hätte ich auch gemacht«, sagte Cassidy.
    »Was?«, wollte Ella wissen.
    »Schätze, die haben ihm nicht nur den Strom abgedreht und alle klinikinternen Verbindungswege unterbrochen, sondern offenbar auch sämtliche Server dazu gebracht, dass sie den Netzbereich, in dem die Klinik liegt, abschalten. Nicht ganz leicht, aber möglich. Wenn er da unten keinen Empfang mehr hat und auch nicht senden kann, muss er aus seinem Versteck kommen.«
    »Und dann?«
    »Dann kommt es darauf an, wer schneller ist.«
    Das Display blieb tatsächlich dunkel, und Halil Abou-Khan brauchte eine Weile, bis er begriff, was das zu bedeuten hatte. Er versuchte, Rashid und die anderen zu erreichen, aber er bekam kein Netz. Er sah sich um, lauschte. Die Klinik klang plötzlich anders, als hätte ein Ge räusch aufgehört, das die ganze Zeit dagewesen war, ohne dass man es noch wahrgenommen hatte. Kein unterschwelliges Brummen, Summen oder Rattern mehr. Für eine Minute oder zwei war das Licht ausgefallen, aber jetzt spendete die Notbeleuchtung an den Wänden spärliche Helligkeit.
    Das bedeutet nichts, dachte Halil; die Gefahr ist immer noch da, selbst wenn die Polizei das Krankenhaus stürmt. Solange der Mann in dem blauen Kittel nicht tot ist, ist meine Schneeflocke in Gefahr. Niemand weiß, ob er nicht noch andere Vorkehrungen getroffen hat. Ich muss es tun, ich, Präsident Halil Abou-Khan, ich muss meine Familie beschützen.
    Er ging zu den nächstgelegenen Fahrstühlen, denn er wollte zurück in die Kinderklinik, um in Shirins Nähe zu sein. Er streckte gerade die Hand nach den Rufknöpfen aus, als ihm klar wurde, dass bei Stromausfall auch kein Lift fuhr. Er überlegte: Wenn der
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