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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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»Das könnt ihr nicht!«
    »Mit wem sprichst du?«, fragte Julian, der hinter Ella aus dem OP kam.
    »Mit niemandem.« Sie merkte, wie ihr die Stimme versagte. Sie zitterte innerlich so sehr, dass jedes Wort, jede noch so kleine Regung zu einem Heulkrampf führen würde.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Sascha jetzt. »Da geht es doch … da geht es doch nur ins Untergeschoss. Was wollte ihr denn da? Lasst mich los!« Ella konnte fast sehen, wie er sich gegen die Männer stemmte, die seine Arme gepackt hatten und ihn die Treppe hinunterschleppten. Manchmal hielten sie inne, und man konnte hören, wie andere die Stufen hinauf- oder hinunterliefen, Personal, verirrte Patienten, Polizisten, aber niemand schien sich in dem ganzen Durchein ander um Sascha, Halil und seine Familie zu kümmern.
    Die blauen Schatten auf dem Display wurden hell, dann wieder dunkel, und das Bild schaukelte hin und her.
    »Du wolltest meine Tochter töten.« Das war noch einmal Halil. »Du hast uns alle bedroht! Wir werden für Gerechtigkeit sorgen.«
    Eine Eisentür schlug gegen eine Wand und dann wieder zu, und jetzt gab es nicht mehr so viele Nebengeräusche, nur noch die Schritte auf Beton, bis eine weitere Tür geöffnet wurde. Ein dumpfes Brummen ertönte. »Das ist ja die Wäscherei«, rief Sascha. »Was sollen wir hier?«
    Die Schatten veränderten sich erneut, jetzt gab es mehr Licht. Ella sah auch das genau vor sich, die verlassene Wäscherei, in der die unterbrochenen Waschvorgänge mit dem Einsetzen der Stromversorgung wieder aufgenommen worden waren – die riesigen weißen Maschinen, die schleudernden und stampfenden Trommeln und Trockner im Halbdunkel, die Berge von schmutzigen Laken, Kitteln und Bettbezügen, die Kunststoffbottiche mit frischer, noch feuchter Wäsche, die Fünf-Liter-Plastikflaschen und Pappeimer mit Waschmitteln.
    »Zieh dich aus!«, befahl Halil.
    »Was? Nein! Ich will nicht … ich will mich nicht ausziehen!«
    Ein Stoß oder Schlag, gefolgt von einem Winseln. »Lasst mich los … nicht! … das ist nicht … das dürft ihr nicht … «
    Jemand sagte etwas auf Libanesisch oder Türkisch, das Spiel von Licht und Schatten wurde heftiger, Geräusche eines kurzen Kampfes, Stöhnen und Keuchen, dann verschwand jählings der blaue Vorhang. Er fiel zu Boden, und dabei rutschte das Smartphone aus der Tasche, als der Kittel auf dem Beton landete, und der Livestream zeigte nun Ausschnitte der Bilder, die Ella sich bisher nur vorgestellt hatte, die Wäscherei, dazu Sascha von unten, halbnackt in Unterwäsche, umgeben von Männern in Straßenkleidung. Halil Abou-Khan erkannte sie sofort, Rashido auch, dazu einen von Halils Söhnen, Amal, aber die anderen beiden kannte sie nicht.
    Die Männer stießen Sascha hin und her, rissen ihm die Unterwäsche vom Körper, bis er ganz nackt war, und dabei gerieten sie immer wieder aus dem Bild. Dann stießen sie ihn auf eine der großen Maschinen zu, und jetzt kreischte er nur noch. »Nicht … was soll denn … ihr … nein …«
    Halil schaltete die Maschine mitten im Waschgang ab und öffnete die verglaste Trommelklappe. Wasser strömte heraus, ein paar Wäschestücke purzelten hinterher. Mit beiden Armen fasste er in die Trommel, schaufelte die Wäsche heraus. Als die Maschine leer war, befahl er: »Rein da!«
    Sascha sagte nichts mehr, stumm kämpfte er um sein Leben, aber dann ging alles ganz schnell. Jemand schlug seinen Kopf gegen die Metallverschalung der Maschine, und als er zusammensackte, packten alle mit an und hoben ihn hoch und schoben ihn in die tropfende Trommel, mit Kopf und Schultern zuerst voran, bis er darin lag wie ein großer blasser Fötus, nackt und zusammengekrümmt.
    Amal schüttete Waschmittel nach, endlose Mengen von weißem Pulver aus einer großen Pappschachtel, während Rashido den neuen Waschvorgang einstellte. Jemand kam auf die Handykamera zu, packte den blauen Kittel und hob ihn auf. Das Bild verschwand, wurde wieder blau und dunkel. Es schepperte und klirrte, dann ein dumpfes Krachen. Etwas später drang ein unheimliches Gurgeln und Rauschen aus dem Handylautsprecher. Mit einem Scheppern rutschte das Smart phone aus der Kitteltasche. Jetzt befand es sich in der Trommel, und alles auf dem Bild war verschwommen, schimmernde Nässe, grob körnige Kleidung, nackte Haut, die silbrige, durchlöcherte Trommel rundung. Und das Wasser, das auf einmal über das Handy spülte: dünne, plätschernde Schübe, in deren Schwappen sich ein schreckliches Heu len
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