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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor
Autoren: Arnaldur Indriðason
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auf.
    »Hast du Fieber?«
    »Gib mir das Geld. Zweitausend! Das ist doch überhaupt nichts. Warum raffst du das nicht, du Blödmann!«
    Er war auch aufgestanden, und sie kam auf ihn zu, als wollte sie ihn attackieren. Diese plötzliche Aggressivität verstand er überhaupt nicht. Er schaute an ihr herunter.
    »Was starrst du mich so an?«, schrie sie ihn an. »Du würdest wohl gerne mal? Aha! Der geile alte Papa!«
    Erlendur versetzte ihr eine Ohrfeige, aber eine ziemlich schwache.
    »Macht’s Spaß?«, fragte sie.
    Er ohrfeigte sie wieder, und diesmal fester.
    »Steht er dir jetzt?«, sagte sie, und Erlendur zuckte zurück. Noch nie hatte sie so mit ihm geredet. Aus heiterem Himmel hatte sie sich in eine Furie verwandelt. Nie zuvor hatte er sie so erlebt. Er stand ihr ratlos gegenüber, und sein Zorn wich langsam dem Mitleid.
    »Warum willst du ausgerechnet jetzt aufhören?«, wiederholte er.
    »Ich versuche überhaupt nicht jetzt aufzuhören!«, schrie sie. »Was ist los mit dir, verdammt? Verstehst du nicht, was ich sage? Wer redet von Aufhören?«
    »Was ist los, Eva?«
    »Hör bloß auf mit diesem ewigen ›Was ist los, Eva‹! Kannst du mir fünftausend Kronen geben oder nicht?
    Kannst du mir nicht antworten?« Es schien, als hätte sie sich etwas beruhigt. Vielleicht war ihr klar geworden, dass sie zu weit gegangen war. So konnte sie nicht mit ihrem Vater reden.
    »Warum ausgerechnet jetzt?«, fragte Erlendur noch einmal.
    »Gibst du mir zehntausend, wenn ich’s dir sage?«
    »Was ist passiert?«
    »Fünftausend.«
    Erlendur starrte seine Tochter an.
    »Bist du schwanger?«
    Eva Lind blickte auf ihren Vater und gab sich mit einem Lächeln geschlagen.
    »Bingo.«
    »Wieso das denn?«, stöhnte Erlendur.
    »Was meinst du damit, wieso das denn. Soll ich dir das vielleicht in allen Einzelheiten beschreiben?«
    »Red keinen Unsinn! Du benutzt doch wohl irgendwelche Verhütungsmittel, oder was? Kondome? Die Pille?«
    »Keine Ahnung, wie das passiert ist. Ist aber passiert.«
    »Und du willst davon weg?«
    »Nicht mehr. Das schaffe ich nicht. Jetzt habe ich dir alles gesagt. Alles! Du schuldest mir zehntausend.«
    »Damit du dein Kind unter Stoff setzen kannst.«
    »Das ist doch kein Kind, du Idiot! Das ist doch eigentlich gar nichts, ein Sandkörnchen. Ich kann nicht auf der Stelle aufhören. Ich höre morgen auf. Versprochen. Nur nicht jetzt. Zweitausend, was ist das schon?«
    Erlendur ging wieder auf sie zu.
    »Aber du hast es versucht. Du willst davon loskommen. Ich helfe dir.«
    »Ich schaffe das nicht!«, schrie Eva Lind. Sie war schweißgebadet und versuchte das Zittern zu verbergen, das ihren ganzen Körper schüttelte.
    »Deswegen bist du zu mir gekommen«, sagte Erlendur. »Du hättest zu jemand anderem gehen und dir Geld verschaffen können. Das hast du ja bislang auch so gemacht. Aber zu mir bist du gekommen, weil du willst, dass …«
    »Bloß keine Sentimentalitäten. Ich bin gekommen, weil Mama mich gebeten hat und weil du Geld hast. Aus keinem anderen Grund. Wenn du mir kein Geld gibst, dann komme ich anderweitig ran. Kein Problem. Es gibt genügend Kerle wie dich, die mich dafür auch bezahlen.«
    Erlendur ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Bist du früher schon einmal schwanger gewesen?«
    »Nein«, antwortete Eva Lind und wich seinem Blick aus.
    »Und wer ist der Vater?«
    Eva Lind verschlug es die Sprache, und mit großen Augen schaute sie ihren Vater an.
    »HALLO!«, rief sie. »Denkst du vielleicht, dass ich gerade aus der Brautsuite in diesem abgehackten Hotel Saga komme?«
    Und bevor Erlendur überhaupt reagieren konnte, hatte sie ihn zur Seite geschoben und war zur Tür hinausgelaufen, die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße, wo sie im kalten Herbstregen verschwand.
    Er machte langsam die Tür hinter ihr zu und überlegte, ob er sich richtig verhalten hatte. Anscheinend konnten sie nicht miteinander reden, ohne zu streiten und sich anzubrüllen, und das machte ihn allmählich fertig.
    Ihm war der Appetit vergangen, und er setzte sich wieder in den Sessel im Wohnzimmer, starrte nachdenklich vor sich hin und machte sich Sorgen, was Eva Lind jetzt wohl trieb. Nach einiger Zeit griff er dann nach dem offenen Buch auf dem Tisch neben seinem Sessel, in dem er gerade las. Es war ein Buch aus seiner Lieblingsreihe über mörderische Strapazen und Katastrophen in Islands Einöden.
    Er fing dort an zu lesen, wo er aufgehört hatte, bei einer Geschichte mit dem Titel »Verhängnis auf
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