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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor
Autoren: Arnaldur Indriðason
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den Aschenbecher an den Kopf, und er ging zu Boden. Das war ein reiner Reflex. Ich war wütend, und ich hätte ihn auch angreifen können. Ich hatte überlegt, wie unsere Begegnung enden könnte, aber das hatte ich mir nie vorgestellt. Er knallte mit dem Kopf auf den Tisch und dann auf den Boden, und es fing an zu bluten. Als ich mich zu ihm niederbeugte, wusste ich, dass er tot war. Ich habe mich umgeschaut, den Schreibblock und einen Bleistift gesehen, und dann habe ich darauf geschrieben, dass ich er bin. Das war das Einzige, woran ich denken konnte, von dem Moment an, als ich ihn in der Tür gesehen hatte. Dass ich dieser Mann bin. Und dass dieser Mann mein Vater ist.«
    Einar blickte in das offene Grab hinunter.
    »Da ist Wasser drin«, sagte er.
    »Das kriegen wir schon geregelt«, sagte Erlendur. »Wenn du ein Gewehr bei dir hast, solltest du es mir geben.« Erlendur trat näher, aber das schien Einar egal zu sein.
    »Kinder sind Philosophen«, sagte er. »Meine Tochter fragte mich einmal im Krankenhaus, warum haben wir Augen? Ich sagte, damit wir sehen können.«
    Einar schwieg eine Weile.
    »Sie korrigierte mich«, sagte er dann wie zu sich selbst.
    Er blickte auf Erlendur.
    »Sie sagte, damit wir weinen können.«
    Und dann schien es, als habe er einen Entschluss gefasst.
    »Wer bist du, wenn du nicht du selber bist?«
    »Nur ruhig«, sagte Erlendur.
    »Wer bist du?«
    »Das kommt schon alles wieder in Ordnung.«
    »Ich wollte nicht, dass es so kommt, aber jetzt ist es zu spät.«
    Erlendur begriff nicht, was er sagte.
    »Jetzt ist es vorbei.«
    Erlendur schaute ihn im schwachen Licht der Gaslaterne an.
    »Jetzt endet es hier«, sagte Einar.
    Erlendur sah, wie er das Gewehr unter dem Mantel hervorzog, es zuerst auf Erlendur richtete, der ihm näher gekommen war. Erlendur hielt inne. Plötzlich drehte Einar den Lauf und richtete ihn auf sein Herz. Das machte er blitzschnell. Erlendur setzte sich in Bewegung und rief Einars Namen. Der grelle Knall zerriss die nächtliche Stille auf dem Friedhof. Erlendur konnte einen Augenblick nichts hören. Er warf sich auf Einar, und sie gingen beide zu Boden.

Kapitel 45
    M anchmal war ihm zumute, als sei sein Leben verödet, als sei nur noch sein Körper übrig und blicke mit leeren Augen ins Schwarze.
    Erlendur stand am Rand des Grabes und blickte auf Einar nieder, der neben dem kleinen Grab lag. Er nahm die Gaslaterne, leuchtete nach unten und sah, dass Einar tot war. Er stellte die Laterne ab und begann, den Sarg in die Erde zu senken. Zunächst öffnete er ihn, stellte den Glaskrug hinein und schloss den Deckel wieder. Es war schwierig für ihn, den Sarg ganz allein hinunterzulassen, aber es gelang ihm schließlich: Er fand eine Schaufel, die bei dem Erdhaufen liegen geblieben war. Nachdem er das Zeichen des Kreuzes über dem Sarg gemacht hatte, begann er zu schaufeln, und es tat ihm weh, wenn die schwere Erde mit dunklem, hohl klingendem Ton aufprallte.
    Erlendur nahm den weißen Lattenzaun, der halb kaputt beim Grab lag, und versuchte mit aller Kraft, den Grabstein wieder aufzurichten.
    Er war fast fertig damit, als er die ersten Autos hörte und Rufe von Menschen, die auf den Friedhof eilten. Er hörte, wie Sigurður Óli und Elinborg abwechselnd nach ihm riefen. Er vernahm Stimmengewirr von Frauen und Männern, die von den Autoscheinwerfern angestrahlt wurden, sodass ihre Schatten in der Dunkelheit riesig erschienen. Er sah die Lichtkegel von Taschenlampen, die immer zahlreicher wurden und sich ihm näherten.
    Er sah, dass Katrín auch dabei war, und kurz darauf bemerkte er Elín. Katrín sah ihn fragend an. Als ihr klar wurde, was passiert war, warf sie sich weinend über Einar und nahm ihn in die Arme. Er versuchte nicht, sie daran zu hindern. Er bemerkte, dass Elín bei ihr niederkniete.
    Er hörte, wie Sigurður Óli fragte, ob mit ihm alles in Ordnung sei, und wie Elinborg das Gewehr aufhob, das auf den Boden gefallen war. Er sah noch mehr Polizisten herankommen und die Blitze von Kameras in der Ferne.
    Er blickte auf. Es hatte wieder angefangen zu regnen, aber irgendwie schien ihm der Regen jetzt sanfter zu sein.
    Einar wurde an der Seite seiner Tochter auf dem Friedhof in Grafarvogur beerdigt. Die Beerdigung fand in aller Stille statt.
    Erlendur blieb in Verbindung mit Katrín. Er berichtete ihr von der Begegnung zwischen Einar und Holberg. Erlendur sprach von Notwehr, doch Katrín wusste, dass er versuchte, sie zu trösten. Er wusste, wie es ihr ging.
    Es
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