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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Kapitel 1
    D ie Worte waren mit Bleistift auf ein Blatt Papier geschrieben, das auf die Leiche gelegt worden war. Drei Worte, die Erlendur nicht verstand.
    Die Leiche war ein Mann, der um die siebzig sein musste. Vor dem Sofa in einem kleinen Wohnzimmer lag er auf der rechten Seite auf dem Boden, bekleidet mit einem blauen Hemd und hellbraunen Cordhosen. Er hatte Pantoffeln an. Das Haar war schütter, fast vollkommen ergraut und rot vom Blut aus einer großen Wunde am Kopf. Auf dem Fußboden neben der Leiche lag ein großer gläserner Aschenbecher mit spitzen Kanten und Ecken. Er war ebenfalls blutbeschmiert. Der Wohnzimmertisch war umgestürzt.
    Die Wohnung lag im Souterrain eines zweistöckigen Hauses in Nordermoor. Das Haus war umgeben von einem kleinen Garten, mit einer Steinmauer zu drei Seiten. Die Bäume hatten das Laub abgeworfen, das jetzt so dicht lag, dass man im Garten nirgends ein Fleckchen Erde sah, und sie reckten ihre krüppligen Äste in den dunklen Himmel. Eine Einfahrt mit Schotterbelag führte zu einer Garage. Immer noch fuhren Mitarbeiter der Kriminalpolizei vor. Sie bewegten sich ohne Hast, wirkten in diesem alten Haus geisterhaft. Man wartete auf den Amtsarzt, der den Totenschein ausstellen würde. Der Leichenfund war vor etwa einer Viertelstunde gemeldet worden. Erlendur war einer der Ersten am Tatort, sein Kollege Sigurður Óli musste jeden Moment eintreffen.
    Schummriges Oktoberlicht legte sich über die Stadt, und der Herbststurm peitschte den Regen gegen das Haus. Jemand hatte eine Lampe angemacht, die auf einem Tisch im Wohnzimmer stand und eine trübe Helligkeit verbreitete. Ansonsten war am Tatort nichts verändert worden. Die Techniker stellten ein Stativ mit einem starken Neonscheinwerfer auf, um die Wohnung auszuleuchten. Erlendur registrierte einen Bücherschrank und eine zerschlissene Polstergarnitur, einen Esstisch, einen alten Schreibtisch in der Ecke, Teppichboden und auf dem Teppichboden Blut. Aus dem Wohnzimmer gelangte man in die Küche, eine andere Tür führte in den Flur und einen kleinen Korridor, an dem zwei Zimmer und das Badezimmer lagen.
    Der Mann aus der oberen Wohnung hatte die Polizei verständigt. Er war an diesem Spätnachmittag nach Hause gekommen, nachdem er seine beiden Söhne aus der Schule abgeholt hatte, und ihm war aufgefallen, dass die Eingangstür zur Wohnung im Souterrain offen stand. Er hatte in die Wohnung des Hausgenossen hineinsehen können und seinen Namen gerufen, er war sich nicht sicher, ob er zu Hause war. Er erhielt keine Antwort. Dann spähte er in die Wohnung hinein, rief wieder den Namen, und wieder kam keine Reaktion. Sie hatten schon einige Jahre in der Wohnung oben gewohnt, kannten aber den alten Mann im Souterrain kaum. Der ältere Sohn, der neun Jahre alt und nicht so zurückhaltend war wie der Vater, lief schnurstracks ins Wohnzimmer. Einen Augenblick später kam der Junge wieder heraus und erklärte, dass da ein Toter in der Wohnung wäre, was er nicht besonders aufregend zu finden schien. – Du guckst dir zu viele Filme an, hatte der Vater gesagt und vorsichtig die Wohnung betreten und den Wohnungsinhaber in einer Blutlache auf dem Boden liegen sehen.
    Erlendur kannte den Namen des Toten. Er stand an der Klingel. Um aber ganz sicher zu gehen und sich keine Blöße zu geben, zog er sich dünne Gummihandschuhe an und fischte aus einem Jackett, das im Korridor an einem Haken hing, eine Brieftasche heraus. Auf einer Kreditkarte fand er ein Foto von ihm. Holberg hieß er, neunundsechzig Jahre alt. Gestorben in der eigenen Wohnung. Wahrscheinlich ermordet.
    Erlendur ging durch die Wohnung und ging im Kopf die einfachsten Fragen durch. Das war sein Job. Das zu untersuchen, was offenkundig war. Die Leute von der Spurensicherung kümmerten sich um das Verborgene. Er bemerkte keine Anzeichen dafür, dass eingebrochen worden war, weder an den Fenstern noch an der Tür. Auf den ersten Blick hatte es den Anschein, als habe der Mann seinen Angreifer selber in die Wohnung gelassen. Die Mitbewohner des Hauses hatten im Korridor und auf dem Teppichboden im Wohnzimmer Spuren hinterlassen, als sie aus dem Regen hereinkamen, und das hatte der Angreifer vermutlich auch getan. Es sei denn, er hätte sich an der Eingangstür die Schuhe ausgezogen. Erlendur kam es so vor, als habe er es etwas zu eilig gehabt, als dass er es sich hätte erlauben können, die Schuhe auszuziehen. Die Mitarbeiter von der Spurensicherung hatten Staubsauger dabei, um auch die
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