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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht
Autoren: Fabio Volo
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Schränke, Theke. Helles Holz, nordeuropäisch. Beim Essen kommt man sich vor wie ein Eichhörnchen im Wald. Milchkaffee, Cappuccino, Filterkaffee, alles wird in Schalen serviert, wie bei meiner Oma.
    Ich bestelle einen frischgepressten Orangensaft, einen Kaffee und ein Croissant. Wenn es etwas gibt, woran man merkt, dass man in Paris ist, dann am Geruch der Butter im Frühstückscroissant, der den ganzen Tag an den Händen haftet.
    Der Laden ist schon voll. Außer Französisch wird an den Nebentischen Deutsch, Portugiesisch und Englisch gesprochen.
    Ich ziehe den Pulli über. Es ist jetzt ein bisschen kühl.
    Auf der anderen Straßenseite liegt das Starbucks mit den üblichen Sofas und Sesseln im Schaufenster. Wie oft habe ich mich an allen möglichen Orten in einen solchen Sessel gesetzt und ein Buch gelesen oder in den Computer getippt. Besonders, wenn der Flug nach Hause Verspätung hatte, ich das Hotelzimmer aber bis elf Uhr vormittags geräumt haben musste. Dann wurde das Café einen Tag lang mein Zuhause: Ich schlief sogar dort, in diesen Sesseln.
    Meine Verabredung ist um elf im Jardin du Luxembourg. Es ist noch nicht mal zehn, und da ich gerade in der Nähe bin, beschließe ich, auf einen Sprung an einen anderen Lieblingsort zu gehen, die Place des Vosges. Jedes Mal, wenn ich diesen Platz erblicke, bin ich ganz ergriffen. Ich spaziere durchs Marais. Der September ist einer meiner Lieblingsmonate. Ich mag es, wenn ich auf einem Spaziergang die Sonne spüren will und die Straßenseite wechsele, weil meine im Schatten liegt. Viel schöner als im Sommer, wenn man es genau umgekehrt macht, der Sonne entflieht. In der Rue des Francs Bourgeois scheint die Sonne um diese Uhrzeit auf die rechte Straßenseite.
    Ich erreiche die Grünflächen auf der Place des Vosges und setze mich bei einem der vier Brunnen auf eine Bank unter einen Baum. Die Luft ist kühl. Ich lege die Arme rechts und links auf die Rückenlehne, schließe die Augen und recke das Gesicht in den Himmel, um mich von den warmen Sonnenstrahlen küssen zu lassen. Als ich das Knirschen von Schritten auf dem Kies höre, öffne ich die Augen wieder. Eine junge Frau. Sie setzt sich auf die Bank neben meiner, öffnet den Laptop und beginnt zu tippen. Menschen mit Computern im Park sieht man immer öfter, via Wi-Fi kann man online gehen, und deshalb kommen viele Leute bei schönem Wetter zum Arbeiten ins Freie.
    Die Frauen in Paris sind anders. Ich habe nie herausgefunden, aus welchem Grund ich sie schöner finde. Es scheint, als wären sie von Natur aus der Vulgarität der Welt entzogen. Vielleicht, weil ihre Art, sich zu kleiden, immer auch etwas Persönliches offenbart. Ihre Kleider erzählen von ihnen, charakterisieren sie. Da eine Brosche, da ein Hut, ein Paar Handschuhe, ein Band, eine Kette, eine Farbe in Kombination mit einer anderen. Es gibt Kleider, die stehen nur schönen Frauen gut, und andere, die stehen nur Frauen mit schönem Wesen. Die Kleidung des Mädchens auf der Bank nebenan sagt viel über sie aus, vermittelt den Eindruck, dass sie in ihrer eigenen Welt lebt, dass sie sich darin wohl fühlt. Wenn man sie so anschaut, möchte man am liebsten Teil dieser Welt sein.
    Es ist gut möglich, dass sie ihre Kleidung günstig auf dem Markt einkauft und dank der ihr eigenen Phantasie und einem Kombinationstalent etwas Originelles daraus macht. Frauen wie sie müssen nicht viel Geld ausgeben, um sich gut zu kleiden, sie haben einfach das richtige Händchen, kaufen irgendwelche Fetzen, kombinieren sie und sind plötzlich feminin und sexy. Es sind Frauen, die nach Apfel duften.
    In jeder Stadt, in der ich länger lebte, habe ich früher oder später »meinen Ort« gefunden. Einen Ort, den ich zum Nachdenken aufsuche, der mir vertraut ist, wo ich für mich sein kann. Oft ist es einfach der erste Ort, den ich finde, wenn ich in einer neuen Stadt bin. In Paris ist es die Place des Vosges. Als ich noch in Paris lebte, war ich oft hier, vor allem sonntags, weil dann unter den Arkaden Musiker spielten, fast immer klassische Musik.
    Der Spaziergang hierher hat mir gutgetan. Er hat mir geholfen, etwas von der Spannung abzubauen, die mit jeder Minute, die meine Verabredung näher kommt, steigt. Trotzdem bin ich noch immer aufgeregt. Vielleicht auch ängstlich. Ich fühle mich orientierungslos, als hätte ich die Aufregung nicht unter Kontrolle. Eine Aufregung, die wächst und nahezu unbezähmbar wird. Kein Wunder: Wenn diese Verabredung läuft wie erhofft, wird
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