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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht
Autoren: Fabio Volo
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der Name und die Stimme.
    Ich mag Frauen, die den ersten Schritt machen, obwohl sie mich damit ehrlich gesagt auch ein bisschen aus dem Konzept bringen, denn normalerweise bin ich derjenige, welcher die Initiative ergreift. Sie schüchtern mich ein, berauben mich der archaischen Rolle des Jägers.
    Als wir die Bar betraten, hielt ich einer alten Dame die Tür auf. »Bitteschön, Signora, ziehen Sie sich warm an, es ist kalt.«
    »Danke, vielen Dank, das ist aber sehr liebenswürdig.«
    Wenn man glücklich ist, ist man viel freundlicher zu den Leuten.
    Wir setzten uns und bestellten einen Espresso. Jetzt in der Bar, als wir uns gegenübersaßen, waren wir ein wenig verlegen. Ich mehr als sie.
    »Ich habe dich gefragt, ob du einen Kaffee trinken möchtest, weil ich dich als meinen morgendlichen Reisegefährten empfinde, und da sich mein Leben in den nächsten Tagen ändern wird, habe ich all meinen Mut zusammengenommen und dich angesprochen.«
    Mist, verdammter, sie heiratet. Ich bin der Kaffee zum Abschied von der Freiheit. Sie hat bestimmt mit ihren Freundinnen darüber diskutiert, und die werden ihr gesagt haben: Los, überwinde dich, lade ihn auf einen Kaffee ein, dachte ich panisch. »Gute Idee, das hätte ich auch längst getan, aber ich hatte Angst, dir lästig zu sein. Neulich, als ich deinen Mantel berührte, dachte ich schon, du wärst sauer.«
    »Wann?«
    »Du weißt schon… neulich, als die Bahn plötzlich scharf gebremst hat und ich dich mit der Hand berührte, aber nicht absichtlich. Sagen wir, ich habe sie nicht weggenommen, im Gegenteil, mir gefiel die Vorstellung, dich zu berühren.«
    »Hab ich gar nicht bemerkt.«
    »Was heißt, dein Leben wird sich ändern? Heiratest du?«
    »Nein, ich heirate nicht, ich ziehe nach New York. Ich habe einen neuen Job.«
    »Du ziehst nach New York?«
    »Ja, ich arbeite bei einer amerikanischen Firma und habe ein Gesuch um Versetzung nach New York gestellt. Sie haben es gutgeheißen.«
    Während sie sprach, zog sie einen Brief hervor.
    »Vor drei Wochen hatte ich ein Vorstellungsgespräch, und sie haben mich genommen. Vor ein paar Tagen kam die schriftliche Bestätigung. Weißt du, ich hätte nicht gedacht, dass sie mich in meinem Alter nehmen würden, ich bin sechsunddreißig, da stehen die Chancen eher schlecht. Aber ich hab’s geschafft.«
    »Ach, dann fährst du also nicht mehr mit der Straßenbahn… das Kapitel Linie 30 ist abgeschlossen. Wird sie dir nicht fehlen?«
    »Doch, ich glaube schon, dass sie mir fehlen wird, aber vielleicht auch nicht. Ich bin schon ganz aufgeregt bei der Vorstellung, dass in meinem Leben eine Wende bevorsteht, zumal ich schon immer mal dort leben wollte – es war nicht der erste Versuch.«
    »Gehst du denn für immer hin?«
    »Keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich jetzt fahre, alles Weitere wird sich ergeben. Vielleicht halte ich es nach einem Monat nicht mehr aus und komme zurück. Ich habe keine festen Pläne, ich tue, wonach mir jetzt gerade ist, der Rest wird sich dann schon ergeben.«
    »Das ist ja ein Ding! Endlich lerne ich dich kennen, und dann reist du gleich ab? So ein Pech. Also ist das unser Abschiedskaffee?«
    »Mehr oder weniger… entschuldige bitte, ich muss schnell auf die Toilette, ich bin gleich zurück.«
    Ich war völlig fertig. Michela fehlte mir jetzt schon, ich sah schon die leere Straßenbahn vor mir.
    Da saß ich nun in dieser Bar und hatte ihr fast nichts sagen können. Nicht mal, dass ihr Handschuh bei mir zu Hause rumlag. Ich hätte sie gern nach ihrer Telefonnummer gefragt, ihrer E-Mail-Adresse, aber mir fehlte der Mut. Sie hatte mich auf einen Kaffee eingeladen, bevor sie fuhr, als wollte sie mit mir eine Phase in ihrem Leben abschließen. Erst wenn man begreift, dass es bald zu spät ist, ist man zu allem bereit, um das Verpasste nachzuholen. Aber ich hatte schon immer diese Angst gehabt, ich könnte zu aufdringlich sein. Wenn ich als Junge bei fremden Leuten gefragt wurde, ob ich ein Glas Wasser möchte, habe ich immer »Nein, danke« gesagt, selbst wenn ich Durst hatte. Ich sagte schon nein, bevor mein Gegenüber ausgeredet hatte. Ich habe immer Angst gehabt, zur Last zu fallen, auf die Nerven zu gehen. Damit habe ich mich nur ins eigene Fleisch geschnitten. Selbst als Erwachsener noch. Wenn ich eine Putzfrau einstellte, tat ich anfangs etwas Absurdes. Am Tag, an dem sie kam, räumte ich auf, bevor ich aus dem Haus ging. Ich putzte ein bisschen vor. Damit die Unordnung nicht zu groß war, aus
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