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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus dir geworden! Mein Gott, warum strafst du mich so!« Koschkin starrte seine Tochter an, und er begriff, daß sein eigenes Kind ihm weggelaufen war. Wenn Ninotschka auch jetzt noch vor ihm stand, groß und schön in ihrem Weißfuchsmantel, so war sie doch schon so weit von ihm entfernt, wie es Borja Stepanowitsch vielleicht auch sein würde, falls der Zar ihn nicht zum Tode verurteilte: in Sibirien. Von dort gab es keine Rückkehr mehr. Wer in der Weite der Taiga verschwand, hörte auf, für die andere Menschheit zu existieren.
    »Warum steht ihr hier?« fragte Koschkin mit schwerer Zunge. »Ändert ihr etwas damit? Wollt ihr dadurch den Zaren zu irgend etwas zwingen? O Gott, ihr Närrinnen! Man wird euch wegtreiben wie streunende Katzen.«
    »Darauf warten wir!« rief die Fürstin Wolkonsky. »Ganz Rußland soll es sehen und hören!«
    »Und dann? Am nächsten Morgen geht das Leben weiter! Ein paar adlige Damen weniger – ändert das Rußland? Ninotschka …«
    »Väterchen?«
    »Komm nach Hause.«
    »Nein.« Ninotschka warf den Kopf in den Nacken. Ihr schmales, schönes Gesicht blieb unbeweglich. Nur die Augen lebten, und in den Winkeln sammelten sich Tränen, die in der eisigen Luft sofort gefroren.
    »Ich hole dich mit einer Abteilung Soldaten hier heraus!« schrie Koschkin.
    »Sie werden nicht wagen, was selbst der Zar nicht wagt!« entgegnete die Trubetzkoi stolz. »Gehen Sie, Pawel Michailowitsch. Was wissen Sie von der Liebe einer Frau? Sie haben ein Kind gezeugt, weil die Natur es so einrichtete. Aber haben Sie jemals gefragt, ob Marina Iwanowna glücklich ist?«
    »Meine Frau? Natürlich ist sie das!«
    »Das hört sich an wie ein Befehl! Sie ist glücklich, sie muß es sein!« Die Trubetzkoi lachte kurz und dunkel. »Armer Pawel Michailowitsch, Sie haben am wirklichen Leben vorbeikommandiert. Sehen Sie sich um: Diese Frauen hier lieben ihre Männer – im Glanz und im Elend!«
    »Und in Sibirien?«
    »In Sibirien auch, Väterchen«, sagte Ninotschka in die Stille hinein.
    »Wir werden uns an die Wagen hängen, die unsere Männer wegbringen.« Die Trubetzkoi wischte sich über ihr vereistes Gesicht. »Wir werden auf den Gäulen sitzen, die vor die Materialwagen gespannt sind. Und wenn es sein muß, werden wir unsere Schlitten selber ziehen, immer den Spuren nach, die vor uns sind. Verstehen Sie das?«
    »Nein«, erwiderte Koschkin tonlos. »Nein.«
    »Ich sagte es ja, Pawel Michailowitsch: Sie sind ein armer Mensch. Sie wissen nicht, was Liebe ist. Fahren Sie zurück in Ihr Palais, wir brauchen Sie nicht, um zu wissen, was wir zu tun haben.«
    Koschkin schlug in ohnmächtiger Wut und Verzweiflung die Fäuste gegeneinander. Er fror; der dünne Uniformmantel hielt den Frost nicht ab, der Innenpelz war an vielen Stellen schadhaft und von Motten zerfressen. Man hatte die Uniform nicht gepflegt, weil selbst Koschkin nicht auf den Gedanken gekommen war, er würde sie noch einmal anziehen.
    »Komm mit, Schwälbchen«, bat er mit zitternder Stimme.
    Ninotschka schüttelte den Kopf.
    »Nein, Väterchen. Bitte, geh …«
    »Deine Mutter wird vor Kummer sterben …«
    »Und Borja wird sterben, wenn ich nicht bei ihm bin.« Ninotschka drehte sich um und ging langsam zum Feuer zurück. Sofort schloß sich eine Wand aus vermummten Frauen hinter ihr, als klappe eine Zellentür zu. Koschkins Herz setzte einen Schlag aus.
    Der Zar, dachte er. Hier kann nur noch der Zar helfen! Ich werde mich ihm zu Füßen werfen wie vor den Heiligen der Ikonastase. Ninotschka, mein Liebstes auf der Welt … Was weiß die Trubetzkoi von Liebe! Sie ist eine Fanatikerin, eine Flamme wie dieses Feuer hier. Aber wenn das Holz verbrannt ist, wird auch sie ausgebrannt sein. Willst du nutzlose Asche werden, Ninotschka?
    Er warf sich herum, rannte zu seinem Schlitten und sprang hinein.
    »Zum Zaren!« schrie er. »Schneller, du Hundesohn! Ich peitsche dich aus, wenn wir nicht die schnellsten Pferde von Petersburg haben.«
    Der Kutscher, ein Leibeigener, dessen Urgroßeltern schon den Koschkins gehört hatten, duckte sich und hieb dem Leitpferd mit der Peitsche zwischen die Ohren. Das Tier bäumte sich auf und galoppierte dann wie rasend vorwärts. Koschkin wurde in den Sitz zurückgeschleudert und klammerte sich an den Seiten fest. Noch nie war ein Schlitten in so wahnsinnigem Tempo durch Petersburg gerast.
    Was an diesem Tag zwischen Koschkin und Zar Nikolaus I. gesprochen wurde, ist nie bekannt geworden. Die Türsteher erzählten später nur,
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