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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Hand. Aber der Hauptmann schwieg. Er drehte sich schroff um und ging zur Festungsmauer zurück, lehnte sich dagegen und zündete sich eine Zigarette an. Wegen des dichten Schneefalls rauchte er sie in der hohlen Hand und schlug den Kragen seines Mantels hoch, als wolle er sein Gesicht verbergen.
    »Wir sind alle hier in der Festung«, sagte Ninotschka. »Wir wohnen in einem leeren Pferdestall. Es ist herrlich warm dort, wir bekommen zu essen, und alle begegnen uns mit großem Respekt.«
    »Nach der Urteilsverkündung werden sie euch verjagen wie streunende Hunde.«
    »Das können sie nicht. Die ganze Welt blickt auf uns.«
    »Die ganze Welt?« Borja lachte bitter. »Was kümmert Rußland die Welt? Als einmal der Botschafter eines westlichen Landes nicht seinen Hut vor dem Zaren zog, hat der Zar ihm den Hut auf dem Kopf festnageln lassen. Und was ist geschehen? Nichts! Ein lahmer Protest kam, über den man am Hof lachte.«
    »Das ist lange her, Borja. Ein paar hundert Jahre.«
    »Was sind einige hundert Jahre für Rußland? Hier gelten andere Zeitbegriffe. Ninotschka …« Borja drückte sich enger an den Drahtzaun. »Geh zu deinem Vater zurück. Sieh mich an … ich lebe doch schon nicht mehr.«
    »Es gibt kein Zurück mehr, Borja, und ich habe keinen Vater mehr. Ich bin von daheim weggelaufen.«
    »Das ist Wahnsinn, Ninotschka!«
    »Katharina Ifanowna, meine Amme, und Miron Fedorowitsch, unser Kutscher, sind bei mir. Wir warten auf dich, Borja.«
    »Auf meinen von Kugeln durchlöcherten Körper?«
    »Der Zar wird es nicht wagen. Wir würden unsere getöteten Männer durch die Straßen von Petersburg tragen und vor dem Winterpalast niederlegen. Und Tausende würden mit uns marschieren, und in ganz Rußland würden es Millionen sein, die sich uns anschließen. Es wäre das Ende des Zaren.«
    »Er hat das Militär auf seiner Seite.«
    »Es gibt mehr Bürger, Handwerker und Bauern in Rußland als Soldaten!« Ninotschka hielt den Wachsoldaten fest, der gerade in der Gasse vorbeimarschierte. »Was sagst du dazu? Kannst du auf deinen Bruder schießen? Oder auf deine Mutter, wenn sie sich auf die Seite der Freiheit schlägt? Kannst du das?«
    Der Soldat blickte starr über Ninotschka hinweg. »Lassen Sie mich los, Euer Hochwohlgeboren«, sagte er leise. »Ich bin ein kleiner armer Soldat und darf nicht denken. Bitte, lassen Sie mich gehen!« Er riß sich los und nahm seinen Patrouillengang wieder auf.
    »Was wirst du tun, wenn man uns erschossen hat?« fragte Borja mit schwerer Zunge.
    »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht wird man uns Frauen danach auch erschießen müssen, denn wir werden keine Ruhe geben.«
    »Der Zar wird euch nach Sibirien verbannen.«
    »Dann wird in zwei, drei Jahren ganz Sibirien gegen ihn aufstehen.«
    Der Hauptmann stieß sich von der Mauer ab und hob den Arm. Man sah, daß es ihm schwerfiel, seinen Dienst in dieser Situation gewissenhaft zu versehen. »Ende der Besuchszeit!« schrie er über den Hof. »Verabschieden Sie sich, meine Herrschaften. Noch fünf Minuten.«
    Fürst Trubetzkoi drückte sein Gesicht gegen den Maschendraht. »Leb wohl, meine Liebe«, sagte er zu seiner Frau. »Das ganze Unternehmen war mein Fehler. Ich habe geglaubt, es wäre der richtige Zeitpunkt. Ein Schwächling als Thronerbe, der Gegenspieler fern von Petersburg, das Volk endlich einmal bereit, an sich zu denken. Aber das Volk hat mich nicht verstanden. Die Angst von Jahrhunderten lebt noch in ihm. Die Offiziere haben mich verraten. Mit einer Handvoll Idealisten kann man in Rußland keine Revolution machen. Meine Schuld … Ich werde sie abbüßen. Nur schade, daß so viele wertvolle Menschen durch mich zugrunde gehen müssen. Leb wohl, Katharina, wir sehen uns nicht wieder.«
    »Wir sehen uns wieder!« sagte die Fürstin Trubetzkoi stolz. »Und wenn nicht hier, dann in der Ewigkeit.«
    Sie klammerten sich an das Maschengitter und zwangen sich, nicht zu weinen. Da kündigte ein Trompetensignal das Ende der Besuchszeit an. Es gab keinen Aufschub mehr, nicht eine Minute.
    »Geh zu deinem Vater zurück!« rief Borja. Ein Soldat hatte ihn bei den Schultern gepackt und zerrte ihn vom Zaun weg. »Ich liebe dich, Ninotschka, ich liebe dich! Werde glücklich …«
    »Nur mit dir …«, rief sie zurück. Sie krallte die Hände in den Maschendraht und begann, haltlos zu weinen. »Nur mit dir! Ich bleibe in deiner Nähe. Ich bete für dich! Sei mutig, Borjuschka, sei mutig! Ich bin es auch!«
    »Die Männer zurück in die
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