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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I
    Ninotschka Pawlowna Koschkina probierte ihr Brautkleid an. Sie war eine schöne Braut, hochgewachsen, mit langem, schwarzem Haar, tiefblauen Augen und dem zarten Gesicht einer Puppe aus Meißner Porzellan.
    Wer sie so ansah in dem langen weißen Kleid aus französischer Seide, das mit Perlen und Halbedelsteinen bestickt war, glaubte nicht, daß sie reiten konnte wie ein Kosak, eine Troika lenken und mit der schweren Reiterpistole schießen, als wäre sie als Jägerkind in den unendlichen Wäldern im Osten aufgewachsen.
    »Du bist ein halber Junge«, sagte Pawel Michailowitsch Koschkin oft. Er war stolz auf seine einzige Tochter. Er hätte sie am liebsten in Watte gewickelt. Vier Leibeigene waren allein dazu da, Ninotschka bei jedem Schritt zu bewachen, und außerdem hielt sich der Graf einen eigenen Arzt, der das Töchterchen jeden Tag untersuchte und sonst nichts anderes zu tun hatte, als zu warten, ob Ninotschka hustete, ungewöhnlich rote Wangen bekam oder mehr als sonst üblich ihr Taschentuch benutzte.
    Koschkin konnte sich diesen Luxus leisten. Er galt neben den Trubetzkois, Galitzins und Stroganoffs als einer der reichsten Männer Rußlands. Er besaß riesige Ländereien zwischen Moskau und Nowgorod, war Herr über zweitausend Leibeigene mit sieben Dörfern und sogar einem Bischofssitz und lebte in St. Petersburg in einem Palais an der Newa mit Blick auf den Winterpalast des Zaren und die Admiralität. Außerdem war Graf Pawel Michailowitsch Mitglied des Staatsrats, Kammerherr und einer der Befehlshaber des zaristischen Pagenkorps.
    Es war im Jahre 1824 gewesen, als der Gardeleutnant Borja Tugai in Ninotschkas Leben getreten war. Im Sommer war es gewesen. Man war in einem flachen großen Boot auf den Finnischen Meerbusen hinausgefahren – eine fröhliche Fahrt unter Sonnensegeln und mit einem Personal von zwei Dutzend Leibeigenen. Man hatte den ganzen heißen Tag auf dem Wasser bleiben und die herrliche Silhouette von St. Petersburg genießen wollen, als ein Vorfall den sonst so ruhigen Sonntag unterbrochen hatte.
    Ein kleines Segelboot hatte schon seit geraumer Zeit das Schiff des Grafen Koschkin verfolgt, es überholt und war dann vor dem Bug gekreuzt. Und ein junger Mann mit wehendem blondem Haar hatte hinüber zu Ninotschka gewinkt. »Welch ein frecher Kerl!« hatte Graf Koschkin geschimpft. »Schneidet uns den Weg ab! Alle Segel gesetzt und alle Ruderer ins Geschirr! Wir wollen es ihm geben!«
    Man braucht nicht lange zu raten, wie es zu Ende ging. Das Boot des Grafen Koschkin hatte das kleine Boot gerammt, der junge Mann war ins Meer gesprungen, bevor er unter den Kiel des breiten Schiffes geriet, und die Leibeigenen hatten ihn aus dem Wasser gefischt.
    »Gardeleutnant Borja Stepanowitsch Tugai«, hatte sich der nasse Fremde dem Grafen Koschkin vorgestellt. »Es ist mir eine Ehre, von Euer Hochwohlgeboren versenkt worden zu sein.«
    »Ein Kavallerist gehört auf ein Pferd und nicht auf ein Boot«, hatte Koschkin erwidert. Hinter ihm war das helle Lachen Ninotschkas ertönt, und dieses Lachen war für sein Vaterherz so wundervoll gewesen, daß aller Zorn verflogen war. »Wenn Sie so miserabel reiten wie Sie segeln – armer Zar!«
    Es stellte sich heraus, daß Leutnant Tugai in Wirklichkeit kein sehr guter Segler war. Eigentlich hieß er Berthold Freiherr von Thorgau, und sein Vater besaß in Riga ein großes Handelshaus. Wie viele deutsche Offiziere im Osten war auch Berthold von Thorgau in die zaristische Armee eingetreten und hatte seinen Namen der russischen Sprache angepaßt.
    Auf diese Erklärung hin hatte sich Koschkins Zorn noch mehr gelindert. Die Handelsschiffe der Thorgaus und der Koschkins begegneten sich ständig in den Häfen rund um die Ostsee, ein paarmal hatte der Graf sogar mit Baron von Thorgau korrespondiert, und nun stand dessen Sohn tropfnaß auf Deck und küßte Ninotschka die Hand.
    »Ich wollte Sie kennenlernen«, hatte er dabei leise gesagt. »Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Eine Festung ist leichter zu erobern, als in das Palais der Koschkins zu kommen. Verzeihen Sie mir diesen Streich?«
    So hatte Ninotschka den fröhlichen Borja Stepanowitsch kennengelernt. Zu Ostern des nächsten Jahres hatten sie sich verlobt, und jetzt, am Neujahrstage 1826, sollte die Hochzeit sein. Ganz Petersburg wartete auf dieses Ereignis. In der Kathedrale Unserer Lieben Frau von Kasan übten schon die Chöre die feierlichen Gesänge, und die 136 korinthischen Säulen, die eine Kolonnade
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