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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß Graf Koschkin aus dem Zimmer seiner Majestät gekommen sei – ohne seine Orden und ohne die Schulterstücke der Uniform – so, als habe der Zar ihm beides abgerissen.
    Doch es war umgekehrt gewesen. Koschkin hatte dem Zaren Orden und Achselklappen vor die Füße geworfen und darum gebeten, nach Sibirien verbannt zu werden. Und der Zar hatte den abgerissenen Emblemen einen Stiefeltritt versetzt und ganz ruhig und betont gesagt:
    »Ich werde mich an Sie erinnern, Pawel Michailowitsch, wenn es an der Zeit ist.«
    Was vorher und nachher noch gesprochen worden war, blieb unbekannt.
    Dagegen wußte bald jeder, daß Koschkin mit eigener Hand den Kutscher Miron Fedorowitsch mit einer langen Hundepeitsche durch das Palais gejagt hatte – bis hinaus auf die Straße. Und daß er dort weiter auf Miron eingeschlagen hatte, bis jener ohnmächtig wurde und der Schnee um ihn herum sich rot von Blut gefärbt hatte. Dann hatte Koschkin dem Kutscher noch einen Fußtritt in die Rippen versetzt und ihn liegen lassen.
    Schwankend, zerschunden und blutend war Miron später vor der Peter-Pauls-Festung erschienen, hatte sich zu der Amme Katharina Ifanowna an eines der Feuer gesetzt und war von den Gräfinnen und Fürstinnen verpflegt, verbunden und umsorgt worden, als sei er kein schmutziger leibeigener Kutscher, sondern ein hohes Herrchen. Und als er Fieber bekommen hatte, war sogar ein Arzt für ihn geholt worden.
    Wahrhaftig – irgendwie war die Neuzeit wirklich nach Rußland gekommen, wenn auch ganz leise und zaghaft.
    Drei Wochen kampierten die Frauen der Verschwörer vor der Festung, und jeden Tag umkreiste Graf Koschkin die lodernden Feuer mit seinem Schlitten und beobachtete sein Töchterchen Ninotschka aus der Ferne.
    Plötzlich, in der vierten Woche, als Petersburg förmlich im Schnee ertrank, waren die Frauen verschwunden.
    Koschkin ließ sich bei General Lukow melden. Er zitterte wie im Fieber, als ihn Lukow endlich empfing.
    »Was hat man mit meiner Tochter gemacht?« fragte Koschkin. »Wo ist sie? Prokor Grigorjewitsch, haben Sie Mitleid mit einem vor Kummer langsam sterbenden Vater. Wo ist Ninotschka?«
    »In einem Pferdestall. Sie alle! Dort sitzen sie warm. Sie dürfen sie nicht sehen, Pawel Michailowitsch. Aber ich verspreche Ihnen, daß den Frauen nichts geschieht. Der Zar hat sich großzügig gezeigt. Sie dürfen morgen ihre Männer eine halbe Stunde lang sprechen.«
    Koschkin lehnte sich gegen die Wand. Seine Beine versagten ihm den Dienst. »Ist das wahr? Der Zar hat das angeordnet?«
    Lukow nickte. »Halten Sie mich für einen Erzengel, daß ich so etwas allein entscheide? Alle Frauen dürfen ihre Männer sehen. Das ist ein einmaliger Gnadenakt.«
    Am nächsten Morgen um neun führte ein Hauptmann die dreißig Frauen vom Pferdestall hinüber zu dem Gebäude, in dem die Gefangenen eingeschlossen waren. Es schneite wieder, und die dicken Schneeflocken waren wie Perlen, die vom Himmel auf die Haare der Frauen fielen.
    Der größte Tag ihrer Liebe hatte begonnen.

III
    Der Innenhof der Festung war lang und schmal. Zwei hohe Maschendrahtzäune teilten ihn und ließen dazwischen einen Gang von einem Meter frei. In diesem Gang patrouillierten fünf Wachsoldaten, vermummt in pelzgefütterte Mäntel, das Gewehr mit dem langen Bajonett an einem Lederriemen um die rechte Schulter gehängt.
    Die Posten unterbrachen ihr Hinundhergehen auch nicht, als die Frauen in den Innenhof kamen und sofort auf den Drahtzaun zustürzten. Auf der anderen Seite öffneten sich langsam vier Türen in der hohen, dunklen, von vergitterten Fenstern unterbrochenen Festungsmauer.
    Zuerst erschien ein Offizier, kontrollierte mit einem schnellen Blick, ob alle Sicherungsvorschriften erfüllt seien und winkte dann. Ihm folgten aus jeder Türe zwei Soldaten. Dann tappten die Gefangenen ins Freie, die meisten noch in ihren zerrissenen, blutbefleckten Uniformen, Verbände um ihre Wunden, barhäuptig und unrasiert. Sie starrten in den bleigrauen Himmel, den lautlos rieselnden Schnee, als begriffen sie nicht, daß es außerhalb ihrer Zellen noch etwas gab.
    Erst als die Frauen aufschrien und ihre Namen riefen, sahen sie hinüber zu dem hohen Doppelzaun und begriffen, warum man sie aus ihren dumpfen Löchern geholt hatte. Sie stürzten, genau wie vorher die Frauen, auf das Drahtgitter zu und versuchten, die Hände durch die engen Maschen zu stecken.
    »Mascha!«
    »Katharina!«
    »Evtimia!«
    Es waren Aufschreie, die das Herz zerrissen. Und von der
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