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Wer aaahh sagt...

Wer aaahh sagt...

Titel: Wer aaahh sagt...
Autoren: Richard Gordon
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1
     
     
    Am Anfang schuf Nye den Staatlichen Gesundheitsdienst - es war der 5. Juli 1948, ein Montag.
    Und es entstand eine Mischung aus Armenhäusern, Kanälen, Apotheken, Heimen, Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen, Sammlungen für einen guten Zweck, Zukunftsvisionen, Traditionen, Mitleid, Vorurteilen und Ausflüchten, das chaotische Vermächtnis viktorianischer Wohltätigkeit.
    Und Nye schuf große Scharen von Krankenhausärzten und niedrige Wesen, praktische Ärzte wie mich.
    Und Nye sah, daß es gut war.
    Und Nyes Geschöpfe waren gläubig und vermehrten sich und kosten seine Landsleute jetzt dreizehn Milliarden Pfund im Jahr.
    Und der staatliche Gesundheitsdienst wurde von den britischen Bürgern schließlich mit derselben allzu großen Liebe überschüttet wie die Königliche Familie.
    Was Nye predigte, praktiziere ich in Churchford, einem bewunderungswürdig friedvollen und behäbigen alten Marktflecken in Kent, der von Pendlern bewohnt wird, die sich viel zuviel kulinarischen Genüssen und viel zu wenig ihrem Liebesieben hingeben. Nyes Lehre war die der kostenlosen Behandlung der kranken Massen, wodurch jeder so gesund werden sollte, daß der Beruf des Arztes binnen kurzer Zeit überflüssig werden würde. Engels war von dem gleichen rührenden Optimismus hinsichtlich der Entwicklung des Staates unter den um sich greifenden Wohltaten des Kommunismus gewesen.
    Die Ärzte hinterlassen in unserem Leben tiefe Spuren, da sich die Gesundheit der Staatsbürger auffälliger verändert hat als der staatliche Gesundheitsdienst, der nach dreißig Jahren so gründlich umstrukturiert wurde, daß fünf Jahre später wieder eine völlige Neustrukturierung notwendig war.
    Heute sind es die alten Menschen, die sterben. Die akuten Krankheiten, von denen die Jungen befallen wurden, sind nahezu ausgerottet, und die schleichenden Krankheiten des Alters sind auf bedrückende Weise zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Psychologie wirft lange Schatten, so trügerisch wie das Mondlicht. Jeder möchte seinem Arzt alles anvertrauen, weil im Zeitalter der Massenkommunikation niemand mit niemandem kommuniziert. Die Patienten erwarten medizinische Wunder, wie sie in der Zeitung angepriesen werden. Das ganze Land leidet unter Depressionen, besonders im November.
    Die Kunst des Arztes ist indes immer noch uralt. Er vereint in sich hohe Intelligenz mit geringem Können, Frömmigkeit mit Lasterhaftigkeit. Er schüchtert seine Patienten ein und wird dafür von ihnen vergöttert. Selbst in einer Welt, in der jeder so selbstsicher ist und alles bespöttelt, erzwingt sein Berufsstand wie kein anderer die Achtung der Menschen.
    Ich bin stolz auf meinen Sohn Andy, der für ein Jahr am John Hopkins-Hospital in Baltimore an der kardiologischen Abteilung arbeitet, und auf meine Tochter Jilly, die sich als Assistenzärztin am Allgemeinen Krankenhaus in Churchford in den ersten Strahlen chirurgischen Ruhmes sonnt.
    Ich liebe meine Frau Sandra, bei der Schwangerschaft, Wechseljahre und die Ehe mit mir kaum Spuren hinterlassen haben. Obwohl ihr goldenes Haar längst grau geworden ist, sehe ich sie manchmal noch als die Schwester vom St. Swithin, die ich geheiratet habe. Das liegt wahrscheinlich daran, daß ich in intimen Momenten nie eine Brille trage. Kurzsichtigkeit erhält viele Ehen.
    Ich bin durchaus zufrieden, daß man mich in der Gesellschaft mit der schlichten Bezeichnung netter Kerl bedenkt. Ich arbeite zusammen mit drei sympathischen Kollegen in einer alteingesessenen Praxis in einem Gebäude, das inmitten der schäbigen Siedlungshäuser des Bahnhofsviertels liegt. Über uns befindet sich ein Supermarkt, und ein mehrstöckiges Parkhaus - die Kathedralen und Schlösser unserer Zeit.
    Ich wohne dort, wo ich den Staatlichen Gesundheitsdienst zuerst allein unterstützt habe, in einem freundlichen, von Rhododendron und Buchsbaum fast verdeckten roten Backsteinhaus im viktorianischen Stil mit Schieferdach, umgeben von ruhigen, mit Goldregen, Kirschbäumen und Ebereschen gesäumten Alleen. Dort schritt ich an einem strahlenden Aprilmorgen wie gewöhnlich im Pyjama die Treppe hinunter, um die Sonntagszeitung von der Veranda zu holen.
    Wie entsetzlich!
    Mein Leben war zerstört.
     

2
     
     
    Zwei Wochen zuvor, an einem Freitag, hatte mich Jim Whynn, der junge Parlamentsabgeordnete unserer Gemeinde, angerufen und um einen Termin gebeten.
    Ich verließ die Praxis, die nahe dem Chaucer Way liegt, und steuerte heimwärts Richtung Foxglove
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