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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an.
    »Bin ich ein Mensch von vorgestern?« Er spuckte aus und putzte sich die Nase am Ärmel seiner Jacke ab. »Doch jetzt steht die Zeit wieder still. Der Zar ist gekommen, und er hält grausames Gericht. Armer Leutnant …«
    »Du fährst uns zur Festung?«
    »Aber ja – doch was nützt es? Weiter als bis zu einem kleinen Offizier wird Ninotschka Pawlowna ja nicht kommen. Man bewacht die Dekabristen wie Edelsteine.«
    »Unser Herr hat einen großen Namen.«
    »Wer hat heute noch einen großen Namen? Der Zar mißtraut jetzt allen. Ein Trubetzkoi war bei den Aufständischen, ein Graf Murajeff, der Fürst Wolkonsky … Der Zar steht einsam in einer Wildnis. Was ist da ein Koschkin?«
    Aber sie wagten es trotzdem.
    Während Graf Koschkin von Zar Nikolaus auf die Liste der Verdächtigen gesetzt wurde, – denn wer einen Schwiegersohn hat, der an der Spitze der Aufständischen Attacken geritten ist, dessen Weste hat Flecken – und während die Schnüffler der Geheimpolizei die Adelspaläste von Petersburg durchkämmten, stöhnte in der Festung der Kommandant, General Graf Lukow, jedesmal auf, wenn ihm seine Ordonnanz erneut meldete: »Ninotschka Pawlowna Koschkina steht wieder vor der Tür.«
    »Schickt sie weg«, sagte Lukow. »Ich habe keine Möglichkeit, menschlich zu denken. Der Zar befiehlt, nicht ich!«
    Er trank aus einer dünnen Tasse glühendheißen Tee und ging dann in dem großen, düsteren Zimmer unruhig hin und her. »Und die anderen Frauen?« fragte er dann.
    »Stehen alle auch vor dem Tor.« Der junge Leutnant nagte nervös an der Unterlippe. »Die Fürstin Trubetzkoi hat sogar gedroht, sie wolle ein Zelt vor dem Eingang aufschlagen.«
    »Das tut sie auch! Ich kenne die Trubetzkoi! Eine Frau aus Eisen ist sie! Daß sie noch nicht versucht hat, mit dem Schädel das Tor einzurennen, ist ein Wunder!«
    Nach dem Mittagessen ließ sich General Lukow mit einem Schlitten durch die weiträumigen Anlagen der Festung zur vorderen Wache bringen und blickte hinaus auf die Straße. Eine Truppe von ungefähr dreißig Frauen hatte sich dort bei klirrendem Frost niedergelassen, drei Feuer entfacht und kochte in zwei großen Eisenkesseln Suppe. Und jedem Soldaten, der sich draußen zeigte, riefen sie zu: »Grüß mir Mitka!« – »Wenn du Graf Blochinsky siehst, sag ihm, seine Natalia ist nahe bei ihm!« – »He, du langer Unterleutnant! Ich bin Marja Nikitewna. Gib Chrissan einen Kuß von mir!«
    »Wer ist Ninotschka Pawlowna?« fragte General Lukow hinter dem Fenster der Wachstube. Der Wachhabende, ein Hauptmann, zeigte auf die Frauengruppe.
    »Die mit dem Weißfuchsmantel.«
    »Das junge Vögelchen?«
    »Sie wollten am Neujahrstag heiraten!«
    »Und da reitet der Idiot Attacken gegen den Zaren! Ha, warum hat man eigentlich Mitleid? Jagt die Weiber weg.«
    »Sie warten nur darauf, Exzellenz. Sie haben Feuerscheite in der Hand, wenn wir uns ihnen nähern.«
    General Lukow deutete auf eine stolze, schöne Frau in einem bodenlangen Zobelmantel. »Das ist die Fürstin Trubetzkoi. Zu Hause hat sie siebzig Lakaien, und hier rührt sie selbst die Suppe um. Gehen Sie hinaus, Hauptmann, und erklären Sie den Damen, daß es völlig sinnlos ist, hier zu warten. Nur der Zar kann entscheiden.«
    »Das erkläre ich ihnen seit Tagen. Sie hören gar nicht zu. Morgens, mittags und abends singen sie Choräle und beten. Sogar einen Popen haben sie mitgebracht, der sie segnet.«
    »Der Hauspriester der Trubetzkois, ich weiß.« General Lukow ließ sich den pelzgefütterten Offiziersmantel umlegen. »Machen Sie das Tor auf. Ich spreche selbst mit ihnen.«
    Er klemmte die Reitpeitsche unter den linken Arm und verließ die Wachstube.
    Seit dem Dekabristenaufstand hatte sich in Rußland einiges verändert. Dem Volk fiel es nicht auf, aber in den Kreisen des Militärs und des Adels hatten die freiheitlichen Ideen Spuren hinterlassen. Die neue Philosophie, die von Frankreich herüberwehte, drang tief in die Herzen. Früher hätte ein Lukow die Frauen vor der Festung durch einen Trupp Soldaten einfach wegprügeln lassen. Jetzt aber ging der General persönlich vor das Tor und grüßte mit großer Höflichkeit, als die dreißig Frauen zu ihren flammenden Holzscheiten griffen.
    Die Fürstin Trubetzkoi und Ninotschka traten aus dem Kreis heraus. Ihre Gesichter waren von der Kälte gerötet, Eiskristalle lagen über den Brauen und Wimpern, und ihr Atem hüllte sie in kleine weiße Wolken ein.
    »Meine Damen«, sagte General Lukow und blieb drei
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