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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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der Stelle kam, wo Elisabeth begraben lag.«
    Denn in den Stunden trauter Zweisamkeit hatte Karl von Metzengerstein ebenjenes Versprechen gegeben, dass er, sollte er sterben, zu seiner Elisabeth zurückkehren werde in der Gestalt eines großen Raben.
    »Es war der Rabengott«, erklärte uns Luzia, »der damals das Wappentier derer von Metzengerstein war.« Worte, von einer uralten Stimme dahingeraunt, begleitet vom eisigen Hauch des Alters. »Und damit«, schloss sie ihre Erzählung, »wisst ihr beiden nun alles über das Schicksal der Elisabeth von Metzengerstein.«
    Zero hob den Kopf und blinzelte in die Runde.
    »Aber das, was ich draußen beim Tierfriedhof gesehen habe«, begann ich.
    Luzia hob den Zeigefinger.
    Gebot mir zu schweigen.
    »Ich will dir etwas zeigen, Jonathan.« Sie erhob sich und bat mich, ihr zu folgen.
    Folgsam tat ich, wie mir geheißen wurde.
    In einer der dunklen Ecken des Refugium Scriptoriums stand ein großes Bildnis, das von einem Leinentuch verdeckt war. Ein massiver Holzrahmen lugte unter dem Tuch hervor und ließ erahnen, wie schwer das Bildnis sein mochte.
    »Dein Vater«, hörte ich Luzia sagen, »wird uns die Echtheit dieses Bildes bestätigen, Jonathan. Das ist unter anderem der Grund, weswegen er herkommen muss. Letzten Endes war es nichts anderes als ein geschickter Schachzug.«
    »Ich verstehe das nicht«, hörte ich mich murmeln.
    »Dabei ist es so einfach.«
    Mit einem Ruck zog Luzia Grillparzer an dem Leinentuch, das elegant zu Boden sank, wobei eine Staubwolke aufgewirbelt wurde.
    »Darf ich vorstellen«, sagte Luzia feierlich, »Elisabeth und Karl von Metzengerstein.«
    Ich starrte das Bildnis an.
    Erkannte alles wieder.
    »Wow!«, entfuhr es mir.
    Greta musste unwillkürlich grinsen. »Wow?«
    »Wow!«
    Und Luzia schmunzelte: »Nun, mit dieser Bemerkung habe ich nicht gerechnet.«
    Fassungslos betrachtete ich das Bildnis. Es zeigte Karl und Elisabeth von Metzengerstein, gekleidet in festliche Gewänder. Im Rittersaal standen sie, und ein Lichtstrahl streifte ihre Gesichter. Sie lächelten, wie sie es auf der Fotografie getan hatten, die mir Luzia Grillparzer nur wenige Tage zuvor gezeigt hatte.
    »Es ist eine Fälschung«, stellte ich fest.
    »Ach ja, ist es das?«
    Ich starrte Luzia an.
    Das Gemälde war eine mittelalterliche Version der in vergilbten Brauntönen gehaltenen Fotografie, die Luzia und Matthias Grillparzer am Tage ihrer Hochzeit vor der Ruprechtskirche in Wien zeigte. Am Tage ihrer heimlichen Hochzeit.
    »Es ist unser Geheimnis«, flüsterte Greta neben mir und ergriff meine Hand. »Du darfst es niemandem verraten. Das musst du uns versprechen, Jonathan Morgenstern. Es ist, was es ist.«
    Ich schluckte. »Was ist es?«
    Keine der beiden Frauen gab mir eine Antwort.
    Zero, an dessen Grab ich auf dem Tierfriedhof gestanden hatte, leckte mir die Hand und fiepte aufmunternd.
    »Aber das«, stammelte ich, »das kann nicht sein.«
    »Du weißt es doch schon lange«, sagte Luzia mit jener Stimme, die an prasselndes Kaminfeuer denken ließ.
    Ich starrte das Bildnis an und sah die Ähnlichkeiten. Luzia und Matthias hatten heimlich und gegen den Willen all derer, die ihnen nahestanden, geheiratet. Genauso wie Elisabeth und Karl. Es hatte Blutvergießen gegeben. Während der Belagerung der Burg und während des Einmarschs der Roten in Wien. Beide Männer hatten treu zu ihren Idealen gestanden. Matthias war Patriot geblieben, als die Deutschen Wien besetzt hatten. Und Karl hatte zu Kaiser und Reich gehalten. Beider Tod wurde durch ein Pferd in der Menschenmenge herbeigeführt. Die Ähnlichkeit mit anderen Geschichten aus der Gegend war unverkennbar. Wackere Männer, Frauen im Harnisch, Liebe und Tod, immer wieder der Tod.
    »Es ist eine Geschichte«, flüsterte ich. Unsicher. »Es ist alles nur erfunden.«
    Die alte Frau nickte nur. »Geschichten«, sagte sie mit Nachdruck, »sind überhaupt das Allerwichtigste. Sie halten uns am Leben, junger Jonathan.«
    Ganz fest ergriff Greta meine Hand.
    »Nach dem Krieg verließ ich Wien«, erinnerte sich Luzia Grillparzer. »Ich zog nach Freiburg und fand Arbeit. Als Näherin, Reinemachefrau, Schreibkraft in einer Papierfabrik. Schließlich studierte ich Geschichte, bekam eine Aushilfsstelle an einer Schule und wurde am Ende Lehrerin. Nach einem halben Leben verschlug es meinen Sohn hierher ins Breitenbachtal, wo er eine Anstellung als Kastellan fand. Greta verbrachte damals jede freie Minute bei ihrer Großmutter. Bereits als
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