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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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kleines Kind liebte sie mein Refugium Scriptorium. Andächtig lauschte sie den Geschichten, die von der Vergangenheit der Burg zu berichten wussten.«
    Dann sagte Greta: »Leider starb Luzia viel zu früh.«
    Ganz ausgetrocknet war meine Kehle.
    »Es war mein Herz gewesen«, erinnerte sich die alte Frau. »An einem Sommertag vor acht Jahren. Gerade noch will ich ein altes Pergament bearbeiten, und schon liege ich dort drüben auf dem Boden und bin tot.«
    »Aber das ist nicht möglich«, murmelte ich.
    »Warum?«, fragte Luzia. »Ich bin ein Geist.«
    »Es gibt keine Geister.«
    »Ach nein?«
    »Nein, nur Geister geschichten. «
    »Dann glaube daran, mein Junge. Du bist gerade in eine hineingeraten.«
    Ich starrte die beiden an.
    Dabei wusste ich doch genau, dass Luzia recht hatte. Geahnt hatte ich es, seit ich des Nachts die arme Agnes unten im Burghof gesehen hatte. Und gewusst hatte ich es, als wir im Wald auf das weiße Lamm gestoßen waren. Irgendwie war mir in all dem Schneegestöber sehr schnell bewusst geworden, dass die Geschichten, die um Burg Karfunkelstein kreisten, viel mehr waren als reine Fantasie. Nur hatte ich mich nicht getraut, mir dies selbst einzugestehen. Ich dachte an den eisigen Hauch, der mich so oft gestreift hatte.
    »Was ist mit dem Bild?« Dem Bild, das ein Replikat des Hochzeitsfotos vor der Ruprechtskirche war.
    »Das«, antwortete Luzia und lächelte gütig, »ist eine lange Geschichte.«
    »Darf ich sie hören?«
    Luzia sah zu dem Bildnis hinüber, und mit einem Mal waren ihre Augen ganz alte Augen geworden, so voll von dem Glanz dessen, was einst gewesen war. »Ja«, hörte ich sie flüstern. »Dafür bist du schließlich hergekommen.«
     
    So offenbarte sich in mir in jener Nacht das Geheimnis von Burg Metzengerstein, die für mich auf ewig Burg Karfunkelstein sein würde. Während das Feuer in dem kleinen Kamin prasselte und der Wind an den Dächern rüttelte, der Himmel den restlichen Schnee über dem Breitenbachtal ausschüttelte, lauschte ich der knisternden Stimme der alten Frau, die der Welt der Geister ein Gesicht gab und mir zeigte, dass die Ahnen uns niemals gänzlich verlassen.
    »Es sind diese Geschichten«, gestand sie mir, »die uns am Leben halten.« Ich erinnerte mich, dass ich sie dies schon einmal hatte sagen hören. »Du stirbst erst, wenn du aus den Erinnerungen der Menschen, die du in deinem Leben berührt hast, verschwindest. Wenn niemand mehr deine Geschichte kennt, dann ist es wirklich aus. Das, lieber Jonathan, ist der Tod, so wie die Geister ihn fürchten. Der Tod ist das Vergessen.« Sie seufzte. »Deshalb erzählen wir uns all die Geschichten. Wir tragen sie weiter von Generation zu Generation, und wenn wir Glück haben, dann stirbt niemand wirklich. Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass jemand bei dir steht, den du nicht siehst? Der eine schützende Hand über dich hält?«
    »Ein Schutzengel«, entfuhr es mir.
    Diese Äußerung entlockte ihr ein Schmunzeln. »Nun, einem Engel bin ich noch nicht begegnet. Dafür aber anderen Geistern. Der armen Agnes aus dem Kempenicher Haus und dem traurigen Junker, der im Haus Mörz gelebt hatte, bis seine Geschichte verschwunden war. Mario Amontillado war der einzige Mensch, der noch des Junkers Geschichte kannte. Und solange der alte Mann lebte, existierte der Geist des Junkers in diesen Mauern.« Ganz verträumt sagte sie: »Wie oft haben wir angeregte Gespräche über das finstere Mittelalter geführt. Er berichtete mir von seiner Hartherzigkeit, die nichts anderes gewesen war als der verzweifelte Versuch, vor seinem Vaters als tapfer dazustehen.«
    »Sie haben seine Geschichte gekannt?«
    »Aber natürlich, junger Jonathan.«
    Greta konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Luzia ist aber ein Geist«, belehrte sie mich. »Und es bringt nichts, wenn ein Geist einem anderen Geist seine Geschichte erzählt.«
    Das war es also! »Ein Lebender muss die Geschichte kennen.«
    »Du sagst es.«
    »Und du?«
    Greta schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung davon.« Es folgte ein Kopfnicken in Richtung ihrer Großmutter. »Eigentlich war dies alles Luzias Idee gewesen. Sie hat mit dem traurigen Junker gesprochen und auch mit Herrn Amontillado aus dem Antiquitätengeschäft in Mayen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Luzia rieb sich die Augen. »Wie denn auch, junger Jonathan. Die Welt der Geister ist kompliziert. Doch, nein. Eigentlich ist es gar nicht so schwierig zu verstehen. Am Ende war es ein Trick.« Sie
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