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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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war dies einfach ein unheimlicher Gedanke. Ich stellte mir vor, wie goldige Hamster und hungrige Ratten und wuselnde Mäuse, die einst ein glückliches Leben in Kinderzimmern geführt hatten, nunmehr in den Erdlöchern und im Schutz des Waldes lebten, davon träumend, was einst gewesen war. Wie Wellensittiche sich im Geäst der Bäume breitmachten und Schildkröten durch das Gebüsch krochen und Molche sich in den Teichen tummelten.
    Greta brachte es auf den Punkt: »Das ist das Geheimnis, das Burg Karfunkelstein umgibt.«
    Eine einzige Frage blieb aber noch: »Warum ist Matthias nicht hier?«
    Luzia erhob sich langsam und trat ans Fenster. »Er ist bestimmt noch in Wien. Dort, wo er gestorben ist.«
    Ihre langen Finger berührten das Butzenglas.
    »Dies ist das Fenster, aus dem sich Elisabeth in den Tod gestürzt hat«, sagte sie.
    Und ich wusste, dass dies die Wahrheit war.
    Eine Wahrheit, so wahr wie das Bildnis, das hier im Scriptorium darauf wartete, in den Rittersaal überstellt zu werden. So wahr wie die Geschehnisse aus dem finstersten Mittelalter, die förmlich in den langen Korridoren und gewundenen Treppenhäusern des alten Gemäuers zu schweben schienen.
    Zero hob den Kopf und stupste mich an.
    Die dunklen Hundeaugen schienen mir zuzuzwinkern.
    Ich tätschelte seinen Kopf.
    Kraulte ihn hinter dem Ohr, das daraufhin wohlig zuckte.
    »Herrje, er fühlt sich so lebendig an.«
    Greta sagte nur: »Er ist lebendig. Solange du an ihn denkst, ist er lebendig.«
    Luzia Grillparzer ging zu einem Sekretär, auf dem das alte Grammofon stand. Eine Schallplatte lag auf dem Teller, und als Luzia die Kurbel des verstaubten Geräts drehte, da ahnte ich bereits, was geschehen würde.
    Selbst Zero spitzte die Ohren.
    »Es ist ihr Lied«, flüsterte Greta.
    Und ich musste mit einem Mal an den Fingerhut denken, den ich noch immer in der Hosentasche bei mir trug.
    Beide sahen wir zu, wie die alte Frau zu tanzen begann. Wie Luzia in kreiselnden Bewegungen durch die Kammer zu schweben schien. Leichtfüßig, als wäre sie ein junges Mädchen. Ungestüm, als wäre sie gerade inmitten des Künstlercafés der Liebe ihres Lebens begegnet. Glücklich, als sei der Augenblick vor der Ruprechtskirche niemals vorübergegangen. Hinter Luzia stand das große Bild. Elisabeth und Karl von Metzengerstein.
    Und zur beschwingten Walzermelodie schwebten draußen vor dem Fenster die Schneeflocken hernieder, und wenn man genau hinsah, dann erkannte man ganz deutlich, dass auch sie tanzten. Glücklich und ungestüm und leichtfüßig. Wie Luzia Grillparzer, die niemals vergessen werden würde.
    Ich könnte erwähnen, dass mein Vater doch noch auf Burg Karfunkelstein eintraf und die Restaurationsarbeiten durchführte. Dass er den Ursprung der gefälschten Dokumente auf das frühe 14. Jahrhundert datierte. Dass sich meine Eltern nicht wieder zusammengerauft haben, wie sie es wohl getan hätten, wenn dies ein Märchen gewesen wäre. Berichten könnte ich, wie die Grillparzers verwundert die alten Pergamente und Bücher hoch oben in der Kammer des Hauses Mörz entdeckten, verborgen in einer geheimen Nische, die jedermann bisher übersehen zu haben schien. Doch das ist alles nicht wichtig. Ich könnte davon erzählen, wie das große Bildnis im Rittersaal aufgehängt wurde, gleich neben dem großen Kamin. Oder davon, dass ich die Bekanntschaft der armen Agnes und des gar nicht so traurigen Giselher machte. Von den langen Spaziergängen durch die Wälder des Tales mit Zero könnte ich Kunde tun oder den stillen Stunden, die ich mit Greta im Comtessenzimmer verbrachte, wo ich ihr beim Zeichnen zuschauen durfte. Davon, dass sich mein Leben verändert hatte. Von dem Raben, der uns hin und wieder zuflog und von dem Luzia Grillparzer felsenfest behauptete, es sei die Seele ihres lieben Mannes, die in dem gefiederten Freund wiedergeboren worden war.
    Von all diesen Dingen konnte ich berichten.
    Doch ist das alles nicht so wichtig.
    Nur eines will ich noch erzählen.
    Eine Geschichte, die eine Lüge ist und letzten Endes doch etwas, was Kinder, die noch an Märchen glauben, als magisches Ding bezeichnen würden. Die Geschichte eines jungen Ritters, der aus seinem Heimatland fliehen muss, weil das Königreich, in dem er behütet aufgewachsen war, mehr und mehr in Scherben zerfällt. Nach langer Wanderschaft kommt er in ein Land aus Schnee und Eis, wo seltsame Gestalten in den Wäldern hausen. Schließlich erreicht er eine einsam gelegene Burg, der all das Eis
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