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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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zu.
    Greta trat neben mich.
    Ergriff meine Hand.
    »Manche Fragen stellen sich ganz von allein.«
    Ein eisiger Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht. Meine Hände begannen zu zittern.
    »Jetzt kennst du die Antwort«, flüsterte sie.
    Zero sah zu uns auf und wedelte mit dem Schwanz.
    »Verstehst du es jetzt?«
    »Ich weiß nicht.« Meine Stimme war ein krankes Krächzen.
    »Halt mich fest«, bat Greta. Ihr Haar roch nach geschmolzenem Schnee und dem Wind, der die Eissterne küsste. »Halt mich fest und lass mich nicht wieder los.«
    Lange standen wir dort, einander umarmend inmitten des Tierfriedhofs. Im Winterwald raunte der Schnee seine Bekenntnisse in die Stille, und ich spürte Gretas Herzschlag, ganz nah, ganz nah.
    Zero bellte.
    Nimmermehr war zurückgekehrt.
    Und alle Geschichten verschmolzen mit einem Mal zu einer einzigen.
     
    Im Refugium Scriptorium erwartete uns Luzia Grillparzer bereits.
    »Ist es so weit?«, fragte sie.
    Greta, die meine Hand seit dem Tierfriedhof kaum mehr losgelassen hatte, sagte nur: »Jonathan will sie hören.«
    »Die Geschichte der Elisabeth?«
    »Wir haben Zeros Grab gesehen. Und Nimmermehr.« Nur langsam hatte ich meine Stimme wiedergefunden.
    »Elisabeths Raben.« Luzia nippte an ihrem Tee, ohne uns aus den Augen zu lassen. Es roch nach verwehten Rosen und stöbernden Schneeflocken im frostigen Winterwind.
    »Was genau geschieht in den Mauern von Burg Karfunkelstein?« Wie sehr mir diese Frage seit meiner Ankunft auf den Lippen gebrannt hatte. Jetzt endlich durfte ich sie stellen!
    »Ich werde euch die Geschichte erzählen«, versprach Luzia, »so wie sie niedergeschrieben worden ist in diesen Mauern. Vor langer, langer Zeit. Als es in den Wäldern des Breitenbachtals noch große Wölfe und Wipfelfrauen gab. Oh ja, damals war die Welt eine andere und doch wieder nicht.« Sie schlürfte ihren Tee und lehnte sich hinter dem Schreibtisch zurück. »Nehmt Platz«, bot sie an, »denn es ist eine lange Geschichte. Und obendrein ist sie wahr.« Verklärt lächelte sie. »Niemals ist eine Geschichte wahrer gewesen als diese.«
    Wir taten wie geheißen.
    Setzten uns nebeneinander auf die kleine Couch.
    Lauschten der Stimme der alten Frau, die uns weit zurückführte in der Zeit.
    Zero rollte sich zu unseren Füßen zusammen und schloss die Augen.
    Wie früher in den Märchen, die ich als Kind gehört hatte, knüpften die Worte einen Teppich, in dessen Muster man sich verlaufen konnte, wenn man nur fest genug daran zu glauben vermochte. Jene Worte, an die sich jeder, der einmal ein Kind war, erinnern wird.
    Es war einmal, es war einmal … Die magischen Worte.
    »Es war einmal eine junge Frau namens Elisabeth«, begann Luzia Grillparzer, »die lebte auf einer Burg im Nettetal bei Mayen, und diese junge Frau verliebte sich in den Herrn von Burg Metzengerstein. Das war Anno 1331. Elisabeth war die Tochter des Grafen Valdemar von Spießburgh, den Karl Metzengerstein eines Sommers traf. Während eines Gastmahls wurde er der schönen Elisabeth gewahr. Er verliebte sich auf der Stelle in die ruhige Frau mit dem langen Haar und bat ihren Vater um die Hand seiner Tochter. Der Graf aber verkündete, dass sie bereits dem Sohn eines Freundes versprochen sei und sich Karl ein anderes Weib suchen solle. Elisabeth war empört, beschimpfte ihren Vater unter vier Augen und weigerte sich, seiner Order Folge zu leisten.«
    Voller Zorn stieß der Pfalzgraf sein Schwert in den Dielenboden und verließ fluchend das Gemach seiner Tochter. Nur wenige Augenblicke nach diesem Disput ließ er Elisabeth in einen abgelegenen Turm bringen, wo sie unter lautem Wehklagen eingesperrt wurde.
    »Wahre Liebe«, sagte Luzia, »findet aber immer einen Weg.«
    Eines Nachts, als Elisabeth von ihrem Fenster aus über die Wipfel der Nettetaler Wälder blickte, da flog ein Stein mit einer geschriebenen Botschaft durch das Fenster.
    »Karl von Metzengerstein war gekommen, um sie zu befreien!«
    Er schoss einen Pfeil hinauf zu Elisabeth. An diesen hatte er einen dicken Faden gebunden, dessen Ende wiederum an einem Seil befestigt war. Elisabeth ergriff den Faden und zog das Seil zu sich hinauf, befestigte es, und so konnte Karl von Metzengerstein unbemerkt zu ihr in den Turm gelangen.
    Er sei gekommen, um sie zu befreien, gestand Karl dem überraschten Burgfräulein.
    Elisabeth war den Tränen nahe, so gerührt war sie von ihres Liebsten Mut.
    »So flohen sie von der Spießburgh bei Mayen. Karl brachte Elisabeth in die Abtei zu
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