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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr
Autoren: Christoph Marzi
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rieb sich die Hände vor Zufriedenheit. »Herr Amontillado besuchte die Burg vor einigen Jahren, und ich offenbarte mich als das, was ich nun einmal bin. Er war schon damals ein alter Mann und kannte eine Vielzahl düsterer Geschichten aus seinem Heimatland. Er war keinesfalls verwundert, dass ich ein Geist war. Ja, er machte mir sogar einige Komplimente. Doch, halt. Ich schweife ab.« Ihre Stimme loderte wie eine eisige Flamme in einem erloschenen Kamin. »Mario Amontillado kannte die Geschichte des traurigen Junkers. Er erzählte mir davon, und ich bat ihn, diese eine Geschichte als ein Geheimnis zu bewahren. Natürlich offenbarte ich ihm meinen Plan. Und er erklärte sich einverstanden. Wenn er stürbe, das wusste ich, dann würde der traurige Junker aufhören zu existieren. Es wäre, als hätte es ihn niemals gegeben. Denn das ist es, was passiert, wenn man in Vergessenheit gerät. Man verschwindet. Spurlos.«
    »Eines Tages würde der traurige Junker aus seinem Bild verschwinden«, fuhr Greta fort, »und wenn es so weit wäre, dann müssten wir gewappnet sein.«
    »Das«, schaltete sich die alte Frau wieder ein, »war es, was ich Greta eingeschärft hatte. Wir mussten schnell arbeiten und uns meines ahnungslosen Sohnes und seiner noch ahnungsloseren Frau bedienen.«
    »Luzia wollte eine Geschichte erfinden«, gestand mir Greta, »die eine mittelalterliche Version ihres eigenen Lebens sein würde. Auf immerdar könnte man dann ihre Geschichte in den Mauern von Burg Karfunkelstein erzählen.«
    »Und niemals würde ich in Vergessenheit geraten.«
    Das war es also, worum es hier ging.
    »Doch dazu bedurfte es einiger Vorbereitungen.« Es schien Luzia Grillparzer Vergnügen zu bereiten, die Details der Verschwörung vor mir auszubreiten. Ganz stolz war sie auf ihren Plan, der nun endlich in die Tat umgesetzt wurde.
    »Das Bildnis!«
    »Du sagst es, junger Jonathan. Doch es war nicht ausschließlich das Bildnis. Wenngleich das Bildnis, wie ich zugeben muss, der beste Teil der Fälschung ist. Nein, die Papiere waren es, die ich voller Sorgfalt präparieren musste. All die Schriftrollen hier, all die vergilbten Bücher. Sie alle sind gar nicht echt.«
    »Es sind bloß kunstvolle Fälschungen«, betonte Greta und warf ihrer Großmutter bewundernde Blicke zu.
    »la, ganz schön mühselig war es, die Pergamente mit der alten Schrift zu versehen.«
    »Aber sie hatte Hilfe.«
    Luzia lächelte das Lächeln eines jungen Mädchens. »Der traurige Junker, dessen richtiger Name Giselher ist, und Agnes, die mittlerweile als recht glücklicher Geist im Haus Kempenich wohnt, halfen mir dabei, die richtigen Worte zu finden. Sie waren diejenigen, denen ich die eigentlichen Übersetzungen verdanke.«
    »Sie meinen, dass die beiden die Geschichte der Elisabeth von Metzengerstein ins Mittelhochdeutsche übertragen haben?«
    Sie grinste breit. »Jede Zeile, jedes Wort.«
    Wohin sollte das alles nur führen?
    Ich spürte Gretas Hand in der meinen und fühlte mich zu Hause. Es war ein verwirrendes Gefühl. Wohltuend und doch beängstigend. Burg Karfunkelstein würde bestimmt jedem Schneetreiben standhalten. Ganz anders als Köln mit all seinen Gassen und Straßen, die sich im düsteren Schatten des Doms versteckten.
    »Dann gaben wir das Bild in Auftrag«, fuhr Luzia mit ihrer Erzählung fort. »Eine perfekte Fälschung sollte es werden. Ein Schwarzkünstler namens Pilatus Merstein fertigte es für mich an.« Nachdenklich schweifte ihr Blick zum Fenster. »Das ist jetzt schon fast fünf Jahre her. Die ganze Zeit über warteten wir darauf, dass etwas mit dem traurigen Junker geschehen würde.«
    »Und schließlich war es so weit?«
    »Vor wenigen Tagen«, antwortete Greta.
    »Als der traurige Junker aus dem Bildnis verschwand, da wussten wir, dass der alte Amontillado gestorben war.«
    »Papa war außer sich, als er das Fehlen der Figur bemerkte«, erinnerte sich Greta.
    »Er weiß also nichts von Ihnen?« Geschickt hatte Greta es mit ihren Hinweisen auf familiären Streit verstanden, mich daran zu hindern, ihre Großmutter zu erwähnen. Hätte ich das getan, wäre es vermutlich zu einigen seltsamen enthüllenden Gesprächen gekommen, in deren Verlauf ich wohl erfahren hätte, dass Luzia Grillparzer schon lange tot und auf dem Friedhof hinten im Wald begraben worden war.
    »Mein Sohn glaubt nicht an Geister«, sagte Luzia nur. War es Traurigkeit, die da in ihrer Stimme mitschwang? Bedauern? »Er tat das, was jeder Kastellan in seiner
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