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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
Autoren: Kerstin Decker
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urteilen. Schließlich profiliert sich die geistige Jugend Deutschlands nicht ganz zufällig im Streit um sein Für und Wider; und durch größtmögliche Abgeklärtheit sowie die Pose des Alldurchschauers aufzufallen ist ein Vorrecht der Jugend.
    *
    Was Friedrich Nietzsche auf ewig vertrauenswürdig macht: Er begann in professoralem Dünkel, andere enden in dieser Geisteslage. Es ist genau zwei Jahre her, da klang er so: Die musikalische Aesthetik liegt im Argen: es fehlt ein Lessing, der ihre Grenzen gegenüber der Poesie absteckte. Nirgends fühlt man dies deutlicher als bei dem sonderbaren Dichtercomponisten, dessen jüngstes Werk hier vor uns liegt. 13 Es war die »Walküre« im Klavierauszug von Karl Klindworth. Der Zweiundzwanzigjährige, Echo seines Lehrers Otto Jahn, hielt das Werk für symptomatisch. Denn wo ein Prinzip große Fehler habe, träten diese gewiss dort hervor, wo dieses Prinzip am schärfsten gefasst sei. Schon der Beginn der »Walküre« erregte seinen Hohn: Wüßten wir nicht, daß Sturm gemalt werden soll, so würden wir rathen zunächst auf ein wirbelndes Rad, dann auf einen vorbeibrausenden Dampfzug. Wir hören das Klappern der Räder, den einförmigen Rhythmus, das pausenlos dahinjagende Getöse. Es wird uns bei längerem Anhören schwindeln: der Sturm ist aber schnell vorüber … 14 Und am Ende war es weder Rad noch Dampf zug, sondern Siegmund auf der Flucht.
    Als den Naumburger Schüler im Alter von vierzehn Jahren das sichere Gefühl überkam, dass es nun an der Zeit sei, seinen Lebensrückblick, seine Autobiografie zu verfassen, hatte er festgestellt: Mozart und Haidn, Schubert und Mendelsohn, Beethoven und Bach das sind die Säulen auf die sich nur deutsche Musik und ich gründete. 15 Und das Eben-noch-Kind, dessen Grammatik mindestens so eigentümlich war wie sein Selbstbewusstsein, schwor, alle Musik, die es sonst noch gibt – Franz Liszt etwa oder den unausstehlichen Berlioz – mit unauslöschlichem Haß zu verfolgen.
    Die deutsche Musik und ich. Man mag ermessen, welche Kämpfe gegen sich selbst der musikalische Tribun inzwischen ausgefochten hat, um die Wagner-Säule hinzuzufügen, sie gar zur Hauptsäule der musikalischen Gegenwart und Zukunft zu ernennen.
    Die entscheidende Weichenstellung ereignete sich schon zwei Jahre nach Niederschrift seiner Autobiographie. Der Schüler-Selbstbildungsverein »Germania« zu Schulpforta zählte drei Mitglieder. Gustav Krug hatte das Mitglied Friedrich Nietzsche 1861 gezwungen, seinen Vortrag über »einige Szenen von Tristan und Isolde« anzuhören, spielte aus dem Werk vor und gab seiner Hoffnung Ausdruck, es mit ihm gemeinsam in Weimar zu hören. Kurz darauf stellte er den Antrag, Bülows Klavierauszug anzuschaffen. Es ist nicht bekannt, ob das Mitglied Nietzsche dagegen votierte oder sich herablassend der Stimme enthielt; die »Germania« hatte sich ohnehin schon für ein anderes Werk entschieden, weshalb das Mitglied Krug keinen anderen Ausweg sah, als den Auszug statutenwidrig zu beschaffen.
    Statt den disziplinlosen Wagnerianer auszuschließen, begann die »Germania« nun, das Werk zu proben, und zwar bei Nietzsche zu Hause. Ein furchtbares Getöse erhob sich am Naum burger Weingarten, unterbrochen nur von Erörterungen der Frage, ob es sich bei Wagners »Kunstwerk der Zukunft« um ein realisierbares Ideal handele oder eher nicht. Nietzsches Mutter dürfte zu einem wünschenswert klaren Urteil gelangt sein, wurde jedoch nicht gefragt. In Wien zeigten sich bei dem Versuch der Hofbühne, das noch nie gespielte Werk einzustudieren, ungefähr zur gleichen Zeit vergleichbare Schwierigkeiten.
    Der Sänger des Tristan hatte, sobald er an den zweiten Aufzug ging, den ersten schon wieder vergessen, wofür sein Dirigent jedoch ein gewisses tiefes Verständnis zeigte, denn auch er versank fortwährend in diesem Notenmeer. Dann ließ sich der vergessliche Tenor wegen Krankheit entschuldigen. Er litt an der Stimme. Nach 77 Proben wurde schließlich auch dieser Versuch einer Aufführung des als unaufführbar geltenden Werks abgebrochen, die Wiener Hofbühne meldete es als »für immer zurückgelegt«. Der »Tristan«-Komponist begann nun verstärkt darüber nachzudenken, ob er nicht seinem Werk nachfolgen und auch sich selber »für immer zurücklegen« sollte. Der Gymnasiast stellte inzwischen in der »Germania« eine eigene Komposition vor, betitelt Der Schmerz ist der Grundton der Natur.
    Er hatte da etwas gehört bei diesem Wagner, den er
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