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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition)
Autoren: Johannes Mario Simmel
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letzten sieben Monaten – und welche Reklame jetzt wiederum gemacht werden wird! In Nürnberg läuft DER KREIDEKREIS immer noch – alle Vorstellungen sind täglich ausverkauft. Ich habe ihn allerdings noch nicht gesehen. Man muß immer noch Karten im voraus bestellen. Und das ist Nürnberg, eine einzige Stadt in Deutschland! So geht es in allen Städten der Welt zu, in denen es Kinos gibt, Liebster, in allen Städten der Welt! Dieser Joe Gintzburger versteht sein Geschäft. Nach einer Erklärung von SEVEN STARS wird der Film sämtliche Rekorde an Einspielergebnissen brechen, die jemals erreicht wurden – um ein Vielfaches. Sie rechnen jetzt mit vierhundert Millionen Dollar.«
    »Vierhundert Millionen«, sagte ich leise.
    »Nun, nach Sylvias Tod, wird das Geld noch einmal wie in Sturzbächen hereinkommen. Ein kluger Mann, dieser Joe Gintzburger.«
    »Ein Schuft.«
    »Natürlich«, sagte Ruth. »Das auch.«
    Die Sonne schien nun schon schräg über die Mauer, der Unsichtbare im dritten Stock warf immer noch Krümel für die Vögel in den Hof herab, wir gingen noch immer Hand in Hand.
    »Wie lange hast du Besuchserlaubnis?«
    »Ich weiß es nicht. Unbegrenzt. Sie haben mir nichts gesagt. Sie waren sehr freundlich. Ich bin fast sicher, Liebster, daß dein Prozeß schnell vorbeigeht. Oder vielleicht bekommst du eine Strafe auf Bewährung.«
    »Vielleicht«, sagte ich. Mir fiel etwas ein. Ich sagte »›Wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.‹«
    »Das ist aus dem Epilog zum ›Guten Menschen von Sezuan‹ von Brecht!« Ruth sah mich erstaunt an.
    »Ja, daran mußte ich gerade denken. Hier gibt es eine wunderbare Bibliothek, weiß du. Ich habe Brecht gelesen, nachts, wenn ich nicht schlafen konnte. Brecht und viele andere Autoren. Sie haben sehr viele Bücher hier. Der Vorhang zu. Und alle Fragen … so viele … so viele Fragen offen.«
    Wir gingen eine Weile schweigend.
    Dann fragte ich: »Wo ist Joe?«
    »Längst wieder in Hollywood.«
    »Dann kann ich mir vorstellen, was für ein Zirkus das Begräbnis von Sylvia wird.« Ruth blieb stehen. Ich auch.
    »Ich habe mit Doktor Kassner gesprochen, Sylvias Psychiater. Als er hier war. Wir haben uns über Sylvia unterhalten. Kassner sagte, aus ärztlicher Sicht war Sylvia wirklich eine potentielle Mörderin. Siehst du, da ist die Tragik für ihn, die tragische Folge seiner Bemühungen, sie erfolgreich zu behandeln. Er hat sie so erfolgreich behandelt, wie er konnte. So erfolgreich, daß sie unter ihren Problemen nicht mehr zusammenbrach. Aber nun war sie derart gesundet, daß sie ihre Probleme – das Problem Rettland – aktiv lösen konnte … und lösen wollte.«
    »Durch Mord.«
    »Ja«, sagte Ruth.
    »Durch Mord«, sagte ich.
    »Ja«, sagte sie.
    »So gesund war sie«, sagte ich.
    »Hör mir zu, Liebster. Wirklich und für die Dauer gesund war Sylvia nicht! Wäre sie nie mehr geworden. Sie war erledigt, kaputtgemacht, am Ende, auch wenn es so aussah, als sei alles in Berlin wieder in bester Ordnung gewesen. Sie hätte diesen Film durchgehalten, sagte Kassner – vielleicht. Sehr wahrscheinlich nicht. Sie wäre wieder zusammengebrochen. Sie hätte danach nie wieder einen Film drehen können, nie mehr mit diesen Schuldgefühlen!«
    Ich atmete tief ein und aus.
    »Und das wußte Joe«, sagte ich, und plötzlich war mir alles klar, blendend klar.
    »Kassner hat ihm kein Wort in dieser Richtung gesagt!«
    »Natürlich nicht. Aber Joe ist ein kluger Schuft, weißt du. Er hat in seiner langen Laufbahn schon manchen Schauspieler, manche Schauspielerin zerbrechen sehen. Er wußte, was mit Sylvia los war, auch ohne daß ein Arzt es ihm bestätigte, davon bin ich überzeugt. Und – es klingt furchtbar, aber auch davon bin ich jetzt überzeugt – und so machte Joe noch das Beste aus einer schlimmen Sache. So zog er noch alles an Geld aus einer zerstörten Frau, was zu ziehen war – und das waren viele, viele Millionen. Also inszenierte er mit diesem bedauernswerten Wrack noch das letzte, das größte Spektakel!«
    Ruth starrte mich an.
    »Das glaubst du wirklich?«
    Ich nickte.
    »Ja. Ich sehe jetzt genau, nach welchem Plan Joe hier vorgegangen ist, nach welchem Plan alle Zeugen, die Joe beeinflussen konnte – und mit Ausnahme der Sachverständigen und der Polizei waren das praktisch alle, denn alle waren von ihm abhängig! –, nach welchem Plan alle diese Zeugen und er selber aussagten oder die Aussage verweigerten. Für diesen Haifisch Joe
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