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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition)
Autoren: Johannes Mario Simmel
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fast nicht geschminkt, ihr Gesicht war eingefallen, erschöpft, von grenzenloser Traurigkeit erfüllt, und ich sah: Diese Frau ist am Ende. Ich lächelte ihr zu. Sie lächelte auch, aber verzerrt, eine Grimasse …
    »Herr Kaven«, sagte der Vorsitzende, ein älterer Mann mit einem zu roten Gesicht, mit behutsamer Stimme und klugen Augen, »Sie haben dem Gericht in der Zeit Ihrer Untersuchungshaft einen sehr ausführlichen Bericht über alles, was geschehen ist, zur Verfügung gestellt. Ich danke Ihnen dafür im Namen aller Beteiligten. Das Gericht, die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft kennen Ihren Bericht. Es ist trotzdem notwendig, Sie selbst zu vernehmen. Dabei müssen wir uns natürlich viel kürzer fassen. Ich bin überzeugt davon, daß Sie wirklich wahrheitsgemäß antworten werden – auf alle Fragen, die wir Ihnen stellen.«
    »Ja, Herr Vorsitzender«, sagte ich.
    »Auch wenn Sie sich dadurch belasten.«
    »Auch wenn ich mich dadurch belaste, denn ich sage hier aus, um der Angeklagten durch die Wahrheit zu helfen, weil ihr allein durch die Wahrheit zu helfen ist und weil …«
    »Phil!« Ein Schrei.
    Ich drehte mich um.
    Da stand Sylvia, leicht schwankend.
    »Ich will nicht, daß du dich belastest durch deine Aussage!« Ihre Stimme war brüchig und heiser. Sie sprach gehetzt. »Ich will nicht, daß andere für das bestraft werden, was ich getan habe, ich will nicht …«
    Der Staatsanwalt, ein untersetzter Mann mit Brille und scharfer Stimme, unterbrach: »Herr Vorsitzender, ich protestiere! Die Angeklagte hat zu Beginn des Prozesses erklärt, nichts sagen zu wollen. Sie hat bislang beharrlich geschwiegen. Ich protestiere dagegen, daß sie jetzt die Aussage eines Zeugen unterbricht und …«
    Gleichzeitig hatte Sylvia weitergesprochen: »… daß noch mehr Unglück geschieht, als schon geschehen ist. Ich bin schuldig! Ich bin schuldig! Ich bin schuldig! Und ich will, daß diese Quälerei ein Ende hat! Ich will sagen, was ich getan habe, was geschehen ist …«
    »Aber nicht jetzt! Jetzt spricht der Zeuge Kaven!« rief der Staatsanwalt.
    »Herr Vorsitzender, Hohes Gericht! Ich bin eine Mörderin!«
    Heftigste Unruhe im Saal.
    »Ich bin mehr als das, ich bin …«
    »Herr Vorsitzender, ich protestiere auf das schärfste …«
    »Reden lassen! Reden lassen!« Stimmen aus dem Zuschauerraum.
    »Ruhe! Herr Staatsanwalt, bitte mäßigen Sie sich! Wenn Mrs. Moran jetzt reden will, wollen wir sie reden lassen.«
    »Ich will reden! Ich will reden!«
    Dies alles und was noch folgte, spielte sich in größter Hast und größter Erregung ab. Manchmal sprachen mehrere Menschen gleichzeitig. Sylvia war nicht aufzuhalten, obwohl ihr Verteidiger beruhigend auf sie einredete. Sie stieß ihn mit einer Handbewegung beiseite. Alles geschah rasend schnell, schneller, als ich es niederschreiben kann, viele Male schneller. Sylvia redete einfach immer weiter, was immer auch an Protesten und Zwischenrufen (sie verstummten sehr bald) kam. In ihrem Gesicht arbeitete es. Sie holte immer wieder tief Atem. Sie sprach mit aller Kraft, die ihr noch verblieben war …
    »… eine Mörderin, jawohl! Ich habe, das bescheinigt der zweite Gutachter, Herr Doktor Feddersen, Romero Rettland nicht erschossen. Er hat sich selbst getötet – unbeabsichtigt. Aber ich war bereit, ihn zu erschießen – also bin ich dennoch eine Mörderin! Eine Mörderin, eine Mörderin! Ich war nach Nürnberg gekommen mit der Absicht, Romero zu töten, wenn er seine Drohung wiederholte …«
    »Was für eine Drohung?«
    »Er hat mit mir in Berlin telefoniert. Und er sagte … er sagte … nein, er diktierte … Er diktierte den Treffpunkt, die Zeit, er erpreßte mich er …«
    »Langsam.« Der Vorsitzende: »Langsam. Wie konnte er Sie erpressen, Mrs. Moran?«
    »Mit Babs!« schrie Sylvia. »Er hatte alles über sie herausgefunden … Er drohte … Er ist doch ihr Vater, er ist doch ihr Vater …«
    Tumult.
    »Ruhe! Ruhe! Sie haben stets bestritten, daß er der Vater ist!«
    »Da habe ich stets gelogen!«
    »Warum? Warum haben Sie gelogen, Mrs. Moran?«
    Sylvia keuchte.
    »Weil ich ihn nicht als Vater anerkannte … weil er … Er hat mich damals bei den Dreharbeiten in Berlin vergewaltigt … betrunken gemacht und vergewaltigt … Es war widerlich … Es war schrecklich … Er hat mit mir Dinge getan … Ich habe ihn gehaßt von diesem Tag an … Ich habe mir geschworen, wenn ich nun ein Kind bekomme, dann werde ich niemals zugeben,
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