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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Autoren: Blanca Busquets
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Die Idee
    »Los, komm schon rein. Es ist niemand zu Hause.«
    Unterdrücktes Lachen.
    »Meine Alten arbeiten. Nur meine Oma ist da, und die kriegt ohnehin nichts mehr mit. Komm endlich.«
    Die Wohnungstür fällt geräuschvoll ins Schloss. Schritte auf dem Parkett, die Dielen quietschen, so wie immer. Und dann wieder eine Tür, die auf- und zugeht. Sandras Zimmertür, zweifellos.
    Ach, die Kleine. Seufzend blickt die alte Frau auf ihre runzeligen Hände, doch augenblicklich erhellt sich ihr Gesicht wieder: Bald werden sie nicht mehr untätig im Schoß ruhen, sondern wieder mit den Nadeln klappern, so wie früher. Auf jeden Fall soll es eine Überraschung werden. Und Leonor muss ihr dabei helfen. Dolors muss sich nur etwas einfallen lassen, wie sie ihre Tochter bitten kann, ihr die Wolle zu besorgen, schöne, kuschelige Wolle, in modischen Farben.
    Die Idee ist ihr erst vor ein paar Tagen gekommen. Seitdem kribbelt es ihr in den Fingern, und sie überlegt unablässig, nach was für einem Muster sie ihrer Enkelin den Pullover stricken soll. Soll sie ihn mit Rippen machen?   … Oder mit Zöpfen?   … Patent?   … Oder gar mit einem dieser schwierigen Norwegermuster?   … Hm, und die Bündchen   …und der Ausschnitt   … Und wenn sie ihr einen Rollkragenpullover   …?
    Wann immer sie Sandra seither zu Gesicht bekommen hat, hat sie sie unauffällig gemustert. Dabei hat sie festgestellt, dass die Hemdchen, die das Kind untendrunter trägt – wie nennt man die heutzutage noch gleich? Erst heute beim Frühstück hat Leonor das Wort doch noch erwähnt   … ach ja, Tops   –, ausnahmslos über dem Bauchnabel enden; es ist wohl gerade modern, den Nabel zur Schau zu stellen. Und die Schultern gleich mit.
    Jetzt im Winter ist es dafür eigentlich viel zu kalt. Aber ein junges Mädchen muss natürlich jede Mode mitmachen, so unsinnig sie auch sein mag. Leonor lässt auch keine Gelegenheit aus, Sandra deswegen auszuschimpfen. Sie erreicht damit aber nur das Gegenteil. Je mehr sie schilt, desto weniger zieht die Kleine an. Sandra ist sechzehn, und Sechzehnjährige sind nun mal störrisch und uneinsichtig, das war schon in Dolors’ Jugend so.
    Unglaublich, dass Leonor das nicht kapiert. Etwas schwer von Begriff war Dolors’ jüngste Tochter ja von jeher, doch in letzter Zeit wird es immer schlimmer mit ihr. Für vieles ist sie neuerdings blind und taub. Und obendrein sieht sie ständig so abgespannt aus   …
    Gern würde Dolors sie darauf ansprechen und ihr sagen, gönn dir doch mal ein bisschen Ruhe, Kind, und nimm die Dinge etwas leichter, nur: Sie kann ja nicht mehr reden. So muss sie hilflos zusehen, wie Leonor langsam dahinwelkt. Dabei ist sie noch gar nicht so alt. Herr im Himmel, gerade mal fünfzig!
    Heutzutage ist man mit fünfzig doch noch jung! Ja, als Dolors in dem Alter war, da kam man nicht umhin, sichalt zu fühlen, richtig alt. Zu jener Zeit sahen die Jüngeren einen an, als gehörte man schon zum alten Eisen und nicht mehr zu denen, die dafür sorgen, dass die Welt sich weiterdreht; mit fünfzig kam man sich so vor, als hätten sie einen auf einen Balkon verbannt, von wo aus man nur noch zuschauen durfte und am Lauf der Dinge nichts mehr ändern konnte. Mein Gott, wie weh dieser überhebliche Blick der nachfolgenden Generationen doch getan hatte   …
    Wenn Dolors ihre Tochter heute mit dieser düsteren Miene herumlaufen sieht, würde sie sie zu gern damit trösten, dass auch sie eines Tages darüber lachen wird, dass sie sich durch spitze Bemerkungen hat verletzen lassen, die die anderen nicht ernst gemeint, sondern nur aus Scherz, zum puren Zeitvertreib ausgeteilt haben, vir… virtuell, wie man das heutzutage nennt.
    Virtuell, ja genau. Das Wort hat sie erst vor kurzem gelernt. Oma, virtuell heißt, dass etwas nicht existiert, nicht echt ist, es sieht nur so aus, als ob, hatte Martí ihr erklärt. Ihr Enkel will sie nämlich in die »virtuelle Realität« einführen. Wenn Oma sich schon nicht mehr unterhalten kann, ist der Computer für sie sicher eine willkommene Abwechslung, hatte er vor ein paar Tagen zu seiner Mutter gesagt, als diese Großmutter und Enkel vor seiner Maschine überraschte. Lass sie in Ruhe, hatte Leonor leise geantwortet und dabei den Kopf geschüttelt, siehst du nicht, dass das für sie ein Buch mit sieben Siegeln ist? Aber Oma ist doch nicht blöd! Ihr Kopf funktioniert noch einwandfrei, sie kapiert das bestimmt. In ihrer Ecke langweilt sie sich sonst noch zu Tode,
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