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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
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DER SCHIFFBRUCH DER BEVERLY B.
    Da war sie nun, in der beengten Kombüse, wo man kaum stehen konnte, ohne sich den Kopf anzuschlagen, die rechte Hand rot und schmerzend, weil sie sich mit dem Kaffee verbrüht hatte, den sie pflichtbewusst – und törichterweise – hatte kochen wollen, damit sie alle etwas Warmes im Bauch hätten, tapfer, immer tapfer, und dabei war sie vor nicht mal einer halben Stunde kotzend in ihrer Koje aufgewacht. Sie trug einen zu großen Pullover mit Zopfmuster, den sie aus dem Schrank ihres Mannes gezogen hatte, weil es in der Kajüte so kalt war, und jede Faser davon schien auf ihrer Haut zu scheuern, als wäre sie im Schlaf wundgepeitscht worden. Sie hatte ihr Haar nicht gebürstet. Die Zähne ebenfalls nicht. Es fiel ihr schwer, das Gleichgewicht zu bewahren, und sie fragte sich, ob die See hier draußen immer so rauh war, traute sich aber nicht, Till oder Warren zu fragen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie man ein Boot steuerte oder einen Sturm abwetterte oder auch nur eine Seekarte las, daran hatten die beiden sie ja bei jeder Gelegenheit erinnert, und Till hatte ihr gesagt, sie solle sich irgendwohin setzen und die Fahrt genießen. Ihr Platz war in der Küche. Oder vielmehr: in der Kombüse. Sie würde die Fische ausnehmen und braten, und wenn die Sonne herauskam – sofern sie herauskam –, würde sie ein Strandtuch auf dem Kajütendach ausbreiten, die Beine mit einer Mischung aus Babyöl und Jod einreiben, sich auf den Rücken legen, die Augen schließen und liegenbleiben, bis sie schön gleichmäßig gebräunt war.
    Erst jetzt – das Boot bockte und rollte, und ihre Hand glühte vor Schmerz – merkte sie, dass ihre Füße nass waren, dass die Socken an der Haut klebten und die neuen weißen Tennisschuhe sich zu einem feuchten Dunkelgrau verfärbt hatten. Und warum waren ihre Füße nass? Weil auf dem Kombüsenboden Wasser war. Nicht Kaffee – sie hatte ihn so gut es ging mit einem Putzlumpen aufgewischt –, sondern Wasser. Salzwasser. Eine Lache floss auf sie zu und schwappte wieder zurück, als das Boot in ein weiteres Wellental tauchte. Sie ließ sich schwer auf die Bank fallen, die sich ihr entgegenhob, und klammerte sich mit beiden Händen an den Tisch, so hilflos, als wäre sie in einem dieser Achterbahnwagen im Vergnügungspark festgeschnallt, die Till so liebte, während sie ihr bloß das Gefühl gaben, als hätte ihr Magen sich selbst verschluckt – wie diese Cartoonschlange, die ihren eigenen Schwanz auffraß.
    Die Säume ihrer Bluejeans waren mit einemmal ganz nass, das Boot tauchte aus dem Tal empor, und wieder schoss das Wasser auf sie zu, mehr diesmal, ein Kälteschock bis zu den Knöcheln. Sie wollte rufen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das Wasser wich nach achtern zurück und kehrte dann wieder, tiefer und kälter. Tu was! rief sie sich zu. Steh auf. Beweg dich! Sie kämpfte gegen die Übelkeit an und hangelte sich mit beiden Händen am Tisch entlang, so dass sie zum drei Stufen höher gelegenen Deck hinaufsehen konnte, wo Till mit seinem stocksteifen versehrten Arm am Ruder saß, während Warren, sein Bruder Warren, der Exmarine, der rechthaberische Besserwisser, wild an ihm zerrte und das Steuer übernehmen wollte. Sie wollte die beiden warnen, wollte das Wasser in der Kombüse melden, damit sie etwas dagegen taten, damit sie machten, dass es wegging, damit sie irgendwas reparierten, so dass alles wieder in Ordnung war, aber Warren schrie, die Adern an seinem Hals standen hervor, und die Gischt, die hinter dem Heck aufstob, sah aus wie der peitschende Schweif eines Unterwasserkometen. »Verdammt, du Arschloch! Nicht quer zu den Wellen!« Das Boot schlingerte seitwärts und erbebte. »Willst du das verdammte Scheißding versenken?«
    Ja. Das war die Geschichte. So war es gewesen. Und so oft sie auch ihre Version dessen erzählte, was ihrer Großmutter im kalten, wütenden, aufgewühlten Wasser des Santa-Barbara-Kanals widerfahren war, vor so langer Zeit, dass sie die Augen halb schließen musste, um ein Bild davon zu bekommen – ein schärferes, klareres Bild als ihre Mutter, die ebensowenig dabeigewesen war wie sie selbst, jedenfalls nicht bewusst –, senkte Alma ihre Stimme zu einem Flüstern, wenn sie zur Pointe, zum überraschenden, krönenden Schluss kam: »Als das Boot sank, war Nana im zweiten Monat schwanger.«
    Sie versäumte es nie, innezuhalten und aufzusehen, ob sie die Geschichte nun am Esstisch ihrer College-Wohngemeinschaft
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