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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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denen man mathematische Begriffe erklärt …«
    Auslöser kultureller Umwälzungen im Nachhinein exakt festzumachen ist, wie man weiß, eine müßige Angelegenheit – allzu oft verschmelzen Ursache und Wirkung miteinander, verliert sich das wirklich »Neue« im Mahlstrom aus Diskurs und Interpretation. Aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Welt eine andere wäre, hätte William Gibson damals diesen Satz nicht – oder anders – geschrieben. Denn er hat damit unsere Vorstellung von dem, was geschieht, wenn wir die Computer zusammenschalten, von Anfang an in eine bestimmte Richtung gelenkt. Von Anfang an war klar: Der »Raum hinter dem Bildschirm« lässt sich nicht auf irgendwelche materiellen Verschaltungen, auf Befehlszeilen, Datenbits oder elektrische Signale reduzieren, sondern er ist ein Ort, ein Kontinent, eine Welt. Eine Welt, die einer neuen Sprache, neuer Verkehrsformen bedurfte und diese gleichzeitig versprach, eine Welt, die es zu entdecken und gleichzeitig zu erzeugen galt. Und all die Informatiker und Ingenieure und Künstler, die Männer und Frauen, die in Garagen und stillen Kämmerlein und Instituten mit den »Neuen Medien«, am ersten Macintosh
und an lokalen Netzwerken herumexperimentierten, lasen diesen Satz und dachten sich: »Wow, da müssen wir hin!«
    William Gibson schrieb »Neuromancer« auf einer Reiseschreibmaschine und kannte sich damals in etwa so gut mit Computern und Netzwerken aus wie jeder normalsterbliche Zeitgenosse: gar nicht. Die Neuromancer-Romane strotzen nur so vor Techno-Speak und wissenschaftlich anmutenden Neologismen – und sind doch völlig unwissenschaftlich. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen in der Gemeinde der Science-Fiction-Autoren wollte Gibson uns nichts erklären, sondern uns ein Gefühl für die Zukunft geben: »Ich brauchte keine persönliche Erfahrung mit dem Personal Computer, um zu spüren, dass wir alle Hals über Kopf auf eine Interaktivität, eine Vernetzung unvorstellbaren Ausmaßes zurasten, auf einen Informationsfluss von unvorstellbarer Geschwindigkeit, Breite und Tiefe.«
    Und so kann es kaum erstaunen, dass William Gibson nach all den Jahren, in denen wir der inflationären Ausdehnung dieses »Raumes hinter dem Bildschirm« zusehen konnten – gleichsam der digitalen Version von Hubbles kosmischer Expansion – und sich unsere Art, miteinander zu kommunizieren und gesellschaftliche Bindung zu erzeugen, radikal verändert hat, heute als Prophet des Informationszeitalters verehrt wird. Und dass die Neuromancer-Romane, weltweit millionenfach verkauft, nicht nur ein neues literarisches Subgenre, den sogenannten »Cyberpunk«, geschaffen, sondern Eingang in wissenschaftliche Abhandlungen, philosophische Traktate und unzählige Phänomene der Popkultur gefunden haben.
    Doch wie es so schön heißt: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. So dürfte einem 1990 geborenen Leser vieles in der Trilogie skurril anmuten: Bonn die deutsche Hauptstadt, die einem Nuklearangriff zum Opfer fällt? Die japanische Yakuza als dunkle Bedrohung im Weltwirtschaftskrieg?
Gibson selbst hat es später als großes Defizit bezeichnet, dass in »Neuromancer« immer noch der Ostblock existiert und AIDS keine Rolle spielt; er hat sich – abgesehen davon, dass man nicht sein Leben lang als »Erfinder des Cyberspace« durch die Talkshows tingeln will – sichtlich unwohl gefühlt in seiner Haut als Science-Fiction-Autor und sich in den Jahren nach der Neuromancer-Trilogie bemüht, seine Geschichten immer mehr in Richtung Gegenwart zu verlagern. Ja, neueste Romane wie »Mustererkennung« oder »Quellcode« beschwören inzwischen gar keine Zukunft mehr, sondern beschreiben, so der Autor, »den Teil der Zukunft, der schon Gegenwart, aber noch nicht in Ihrem örtlichen Einkaufszentrum angekommen ist«, strecken die literarischen Fühler nach jenen aktuellen Prozessen aus, die tatsächliche und nicht nur scheinbare Veränderungen bedeuten, jenen Momenten, über die kein Historiker je berichten wird und die doch Historie erst ermöglichen.
    Die Neuromancer-Trilogie dagegen ist noch lupenreine Science Fiction – bezeichnenderweise wählte Gibson als Metaplot die älteste SF-Story aller Zeiten: die von Frankensteins Monster -, und Science Fiction »altert« eben weniger gut als andere Genres. Was machen wir also in einer Zeit, in der wir ins »Netz« gehen wie früher in die Kneipe, in der die »Cyberpunks« ganz gutbürgerlich eine Partei gründen, in der die
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