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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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würde ich sagen. Außerdem ist es ihr nach Auskunft gewisser Freunde im Staatsdienst gelungen, alle vorhandenen Unterlagen über sich verschwinden zu lassen, ausgenommen die über eine Mehrheitsbeteiligung an einem
deutschen Spielkasino. Und falls Angela Mitchell etwas zugestoßen sein sollte, dann hat Sense/Net darüber noch nichts verlauten lassen. Die ganze Sache ist also erledigt.«
    »Werde ich sie wiedersehen?«
    »Nicht auf meinem Territorium, bitte.«
    Sie fuhren los.
    »Petal«, sagte sie auf der Fahrt durch London, »mein Vater hat mir erzählt, dass Swain …«
    »Ein Narr. Ein verdammter Narr. Reden wir nicht mehr davon.«
    »Tut mir leid.«
    Die Heizung lief. Es war warm im Jaguar, und Kumiko war jetzt sehr müde. Sie lehnte sich ins rote Leder zurück und schloss die Augen. Irgendwie hatte die Begegnung mit 3Jane sie von ihrer Scham befreit, dachte sie, so wie Vaters Antwort sie von ihrem Groll befreit hatte. 3Jane war sehr grausam gewesen. Jetzt sah sie auch die Grausamkeit ihrer Mutter. Aber irgendwann einmal muss alles vergeben werden, dachte sie und schlief auf dem Weg zu einem Ort namens Camden Town ein.

45
    Dahinter glatter Stein
    Nun leben sie also in diesem Haus: Mauern aus grauem Stein, Schieferdach, ewiger Frühsommer. Die Gartenanlagen sind farbenfroh und naturbelassen, obwohl das hohe Gras nicht wächst und die Wiesenblumen nicht verblühen.
    Hinter dem Haus stehen verschlossene, unerforschte Wirtschaftsgebäude, und dahinter liegt eine Wiese, auf der sich festgezurrte Drachenflieger gegen den Wind stemmen.
    Als sie einmal allein unter den Eichen am Rande dieser Wiese spazierengegangen ist, hat sie drei Fremde gesehen, die
auf einem pferdeähnlichen Gebilde ritten. Pferde sind ausgestorben, schon Jahre vor Angies Geburt. Eine schlanke Gestalt in einer Tweedjacke saß im Sattel, ein Junge wie ein Reitknecht aus einem alten Gemälde. Vor ihm hockte ein junges Mädchen, eine Japanerin, rittlings auf dem Pseudoross, hinter ihm ein blasser, speckig aussehender Mann von kleiner Statur in grauem Anzug, braunen Schuhen und pinkfarbenen Socken, über denen weiße Knöchel hervorlugten. Hatte das Mädchen sie gesehen, ihren Blick erwidert?
    Sie hat vergessen, Bobby davon zu erzählen.
    Ihre häufigsten Besucher kommen in den Träumen der Morgendämmerung, obwohl sich einmal ein grinsender kleiner Kobold von einem Menschen durch wiederholtes Klopfen an der schweren Eichentür ankündigte und, als sie aufmachte, »den kleinen Scheißer Newmark« verlangte. Bobby stellte diese Kreatur als den Finnen vor und schien hocherfreut, ihn zu sehen. Die schäbige Jacke des Finnen dünstete ein Gemisch aus kaltem Rauch, altem Lötzinn und Salzhering aus. Bobby erklärte, der Finne sei jederzeit willkommen. »Besser so. Keine Chance, den draußenzuhalten, wenn er rein will.«
    3Jane kommt auch; sie gehört zu den morgendlichen Besuchern. Sie hat etwas Trauriges, Zaghaftes an sich. Bobby nimmt sie offenbar kaum wahr, aber Angie, das Gefäß so vieler ihrer Erinnerungen, reagiert auf diese besondere Mischung aus Sehnsucht, Eifersucht, Frust und Wut. Angie hat gelernt, 3Janes Motive zu verstehen und ihr zu verzeihen – obwohl sie nicht so recht weiß, was es eigentlich zu verzeihen gibt, wenn sie im Sonnenschein unter den Eichen wandelt.
    Zuweilen ermüden die Träume mit 3Jane Angie jedoch; andere Träume sind ihr lieber, insbesondere die mit ihrem jungen Schützling. Diese kommen oft, wenn die Spitzengardinen sich blähen, wenn die ersten Vögel singen. Sie schmiegt
sich enger an Bobby, schließt die Augen, formt in Gedanken das Wort Continuity und wartet auf die bunten kleinen Bilder.
    Sie sieht, dass sie das Mädchen in eine Klinik auf Jamaika gebracht haben, um es von der Abhängigkeit von primitiven Stimulanzien zu kurieren. Nach der Feineinstellung ihres Stoffwechsels durch ein geduldiges Heer von Net-Ärzten kommt sie schließlich vor Gesundheit strotzend heraus.
    Dank ihres von Piper Hill geschickt modulierten Sinnesapparats werden ihre ersten Stims mit noch nie dagewesener Begeisterung aufgenommen. Ihr weltweites Publikum ist hingerissen von ihrer Frische, ihrer Vitalität, ihrer entzückenden Naivität, mit der sie ihr glamouröses Leben wie zum ersten Mal zu entdecken scheint.
    Manchmal geht ein Schatten über den fernen Bildschirm, aber nur für einen Moment: Robin Lanier ist erwürgt und erfroren auf der künstlichen Bergfassade des New Suzuki Envoy aufgefunden worden. Sowohl Angie als auch Continuity
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