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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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1
    Schleuse 14
    Die minuziös rekonstruierten Tatsachen ergaben keinerlei Aufschluß, wenn man einmal von der Erkenntnis absah, daß die Entdeckung, die die beiden Treidler aus Dizy gemacht hatten, sozusagen ein Ding der Unmöglichkeit war.
    Am Sonntag – es war der 4. April – hatte es um drei Uhr nachmittags angefangen, in Strömen zu gießen.
    Um diese Zeit befanden sich in dem Hafenbecken oberhalb der Schleuse 14, die die Marne mit dem Seitenkanal verband, zwei Motorschiffe, die stromabwärts fahren wollten, ein Lastkahn, der gelöscht wurde, und ein Baggerschiff.
    Kurz vor sieben Uhr, als es dunkel zu werden begann, hatte sich ein Tankschiff, die ›Eco III ‹, angemeldet und war in die Schleusenkammer eingefahren.
    Der Schleusenwärter machte aus seinem Ärger keinen Hehl, denn er hatte gerade Verwandte zu Besuch. Einen Treidelkahn, der einen Augenblick später mit der Schrittgeschwindigkeit seiner beiden Zugpferde ankam, wies er mit einer Handbewegung zurück.
    Er war kaum wieder zu Hause, als er den Treidler eintreten sah, den er kannte.
    »Kann ich durchschleusen? Der Chef will morgen über Nacht in Juvigny anlegen …«
    »Fahr durch, wenn du willst. Aber die Tore mußt du schon selbst aufdrehen …«
    Der Regen fiel immer stärker. Von seinem Fenster aus sah der Schleusenwärter die gedrungene Gestalt des Treidlers, der schwerfällig von einem Tor zum anderen ging, seine Pferde anziehen ließ und die Taue an den Pollern festmachte.
    Nach und nach hob sich der Kahn über die Schleusenmauern hinaus. Es war nicht der Besitzer, der das Ruder in der Hand hielt, sondern seine Frau, eine stämmige Brüsselerin mit strohblondem Haar und schriller Stimme.
    Um sieben Uhr zwanzig hatte die ›Providence‹ gegenüber vom Café de la Marine festgemacht, hinter der ›Eco  III ‹. Die Pferde gingen an Bord zurück. Der Treidler und sein Chef stapften zum Café hinüber, in dem sich andere Schiffer und zwei Lotsen aus Dizy befanden.
    Um acht Uhr, als die Nacht schon hereingebrochen war, legte unterhalb der Schleusentore ein Schlepper mit vier Kähnen an, die er hinter sich herzog.
    Das erhöhte die Zahl der Gäste im Café de la Marine. Sechs Tische waren besetzt. Man unterhielt sich von einem Tisch zum anderen. Wer hereinkam, hinterließ Wasserpfützen und stampfte mit seinen verschlammten Stiefeln auf den Boden.
    Im Nebenraum, der von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde, machten die Frauen ihre Einkäufe.
    Die Luft war stickig. Man diskutierte über einen Unfall, der sich an der Schleuse 8 ereignet hatte, und über die Verzögerung, die das für die Bergfahrt bedeuten konnte.
    Um neun Uhr kam die Frau des Besitzers der ›Providence‹ ihren Mann und den Treidler abholen, die sich von der Runde verabschiedeten und fortgingen.
    Um zehn Uhr waren die Lampen an Bord der meisten Schiffe erloschen. Der Schleusenwärter begleitete seine Verwandten bis zur Landstraße nach Epernay, die den Kanal zwei Kilometer von der Schleuse entfernt überquert.
    Er bemerkte nichts Ungewöhnliches. Als er auf dem Rückweg am Café de la Marine vorbeikam, warf er einen Blick hinein und wurde von einem Lotsen herbeigerufen.
    »Komm doch auf einen Schluck rein! Bist ja ganz naß …«
    Er trank einen Rum, im Stehen. Zwei Treidler rappelten sich hoch, schwerfällig vom Rotwein, mit glänzenden Augen, trotteten zum Stall hinüber, der neben dem Wirtshaus stand, und ließen sich dort in der Nähe ihrer Pferde auf das Stroh fallen.
    Sie waren nicht richtig betrunken. Aber sie hatten genug, um in tiefen Schlaf zu sinken.
    Fünf Pferde waren in dem Stall, in dem nur eine Sturmlaterne mit heruntergedrehtem Docht brannte.
    Um vier Uhr weckte einer der Treidler seinen Kameraden, und beide begannen, sich um ihre Pferde zu kümmern. Sie hörten, wie die Pferde der ›Providence‹ hinausgelassen und angespannt wurden.
    Zur gleichen Zeit stand auch der Wirt auf und zündete die Lampe in seinem Zimmer im ersten Stock an. Auch er hörte, wie sich die ›Providence‹ in Bewegung setzte.
    Um halb fünf begann der Dieselmotor des Tankschiffs zu tuckern, das aber erst eine Viertelstunde später ablegte, nachdem der Schiffer im Café, dessen Türen soeben geöffnet worden waren, einen Grog getrunken hatte.
    Er war gerade erst gegangen, und sein Schiff hatte die Brücke noch nicht erreicht, als die beiden Treidler ihre Entdeckung machten.
    Der eine zog seine Pferde zum Leinpfad hin. Der andere durchwühlte das Stroh, um seine Peitsche zu suchen, als
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