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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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seinen Ölmantel überzog.
    »Wo ist Wladimir?«
    »Ich habe ihn eben zurückkommen hören.«
    »Sagen Sie ihm, daß wir in Epernay zu Abend essen.«
    Madame Negretti, eine dickliche Frau mit schwarzglänzenden Haaren und sehr blasser Haut, hatte sich in eine Ecke gesetzt, unter das Barometer, und verfolgte diese Szene mit abwesendem oder tief in Gedanken versunkenem Ausdruck, das Kinn in die Hand gestützt.
    »Kommen Sie mit?« fragte Sir Walter sie.
    »Ich weiß nicht … Regnet es noch?«
    Maigret war aufgebracht, und die letzte Frage des Colonel war nicht dazu angetan, ihn zu besänftigen.
    »Wieviel Tage, glauben Sie, wir werden brauchen, für alles?«
    Er erwiderte scharf:
    »Einschließlich der Beerdigung, nehme ich an?«
    » Yes. Drei Tage?«
    »Wenn die Gerichtsmediziner die Bestattungserlaubnis gleich ausstellen und der Untersuchungsrichter keine Einwände hat, könnten Sie es effektiv in vierundzwanzig Stunden schaffen.«
    Spürte der andere überhaupt die bittere Ironie dieser Worte?
    Maigret aber mußte immer wieder das Foto ansehen: ein lebloser, besudelter, zugrunde gerichteter Körper, ein Gesicht, das einmal sehr hübsch gewesen war, sorgfältig gepudert und geschminkt, mit parfümiertem Rouge auf den Wangen, und das jetzt zu einer Grimasse verzerrt war, die man nicht mehr betrachten konnte, ohne daß es einem kalt den Rücken herunterlief.
    »Trinken Sie?«
    »Danke, nein.«
    »Nun, dann …«
    Sir Walter erhob sich zum Zeichen, daß er die Unterredung als beendet ansah, und rief:
    »Wladimir! Einen Anzug!«
    »Ich werde Ihnen wahrscheinlich noch weitere Fragen zu stellen haben«, sagte der Kommissar. »Vielleicht sehe ich mich auch gezwungen, die Yacht gründlich durchsuchen zu lassen …«
    »Morgen. Erst Epernay, ja? Wie lange braucht ein Auto?«
    »Und ich bleibe ganz allein?« ängstigte sich Madame Negretti.
    »Mit Wladimir. Sie können auch mitkommen, wenn Sie wollen.«
    »Ich bin nicht angezogen.«
    Willy kam hereingestürmt und zog seinen triefenden Ölmantel aus.
    »Der Wagen wird in zehn Minuten hier sein.«
    »Wenn ich bitten darf, Herr Kommissar …«
    Der Colonel zeigte auf die Tür.
    »Wir müssen uns umziehen …«
    Im Hinausgehen hätte Maigret am liebsten irgendwen verprügelt, so aufgebracht war er. Er hörte, wie die Luke hinter ihm geschlossen wurde.
    Von außen sah man nur das Licht der acht Bullaugen und die weiße Schiffslaterne am Mast. Weniger als zehn Meter entfernt zeichneten sich das gedrungene Heck eines Schleppkahns und links, am Ufer, ein großer Haufen Kohle ab.
    Es war vielleicht nur Einbildung, aber Maigret kam es so vor, als wäre der Regen doppelt so heftig geworden und der Himmel schwärzer und niedriger, als er ihn jemals erlebt hatte.
    Er ging auf das Café de la Marine zu, in dem die Stimmen plötzlich verstummten, als er eintrat. Alle Schiffer waren da und bildeten einen Kreis um den gußeisernen Ofen. Der Schleusenwärter lehnte am Tresen, neben der Tochter des Hauses, einem großen rothaarigen Mädchen in Holzschuhen.
    Auf dem Wachstuch der Tische waren Literflaschen, einfache Trinkgläser und Weinlachen zu sehen.
    »Ist es wirklich seine Frau?« fragte der Wirt schließlich, indem er sich ein Herz faßte.
    »Ja! Geben Sie mir ein Bier! Halt, nein! Lieber etwas Heißes … Einen Grog …«
    Die Schiffer nahmen allmählich ihre Unterhaltung wieder auf. Das Mädchen brachte das kochendheiße Glas, und ihre Schürze streifte dabei Maigrets Schulter.
    Und der Kommissar stellte sich die drei von der Yacht beim Ankleiden vor, in der engen Kajüte, mit Wladimir, der auch noch da war …
    Er malte sich noch ganz andere Sachen aus, aber nicht sehr deutlich und mit einem gewissen Widerwillen.
    Er kannte die Schleuse von Meaux, die vor allem deshalb so wichtig war, weil sie – ebenso wie die Schleuse von Dizy – eine Verbindung zwischen der Marne und dem Seitenkanal herstellte, mit einem halbmondförmigen Hafen, der stets voller Lastkähne war, die sich dicht aneinanderdrängten.
    Und dort, mitten unter den Schiffern, die hell erleuchtete ›Southern Cross‹ mit den beiden Mädchen vom Montparnasse, der fetten Gloria Negretti, Madame Lampson, Willy und dem Colonel, die auf Deck zur Musik des Plattenspielers getanzt und getrunken hatten …
    In einer Ecke im Café de la Marine aßen zwei Männer in blauen Jacken Wurst, die sie – wie auch das Brot – Scheibe um Scheibe mit ihrem Taschenmesser abschnitten; dazu tranken sie Rotwein.
    Und jemand berichtete von einem
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