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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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beklommen:
    »Was soll ich denn jetzt machen? Er ist tot! Meine Frau …«
    Ein Bild, das Maigret nicht vergessen würde: von oben herab sah man in dem Stall, in dem die beiden Pferde nicht viel Platz übrigließen, einen zusammengekauerten Leichnam, den Kopf halb im Stroh vergraben. Und die blonden Haare der Brüsselerin, die im Sonnenlicht leuchteten, während sie leise schluchzte und gelegentlich wiederholte:
    »Mein kleiner Jean …«
    Als ob Jean ein Kind gewesen wäre und nicht dieser alte Mann, der so hart war wie Granit, mit dem Körperbau eines Gorillas, und der die Ärzte so aus der Fassung gebracht hatte!

11
    Das Überholmanöver
    Niemand außer Maigret bemerkte es. Zwei Stunden nach Jeans Tod, während der Leichnam auf einer Bahre zu einem wartenden Wagen getragen wurde, hatte der Colonel mit rot geäderten Augen, aber in würdevoller Haltung gefragt:
    »Glauben Sie, daß man mir die Erlaubnis geben wird zur Beisetzung?«
    »Morgen, bestimmt …«
    Fünf Minuten später machte Wladimir mit der üblichen Präzision seiner Handgriffe die Leinen los.
    Zwei Schiffe warteten vor der Schleuse von Vitry-le-François, auf dem Weg nach Dizy.
    Das erste stieß sich bereits mit einer Stange zur Schleusenkammer vor, als die Yacht plötzlich längsseits preschte, den runden Bug umfuhr und in die geöffnete Schleusenkammer eindrang.
    Es gab lauten Protest. Der Schiffer rief dem Schleusenwärter zu, daß er an der Reihe sei, daß er sich beschweren werde, und hundert andere Dinge.
    Aber der Colonel mit seiner weißen Mütze und seinem Offiziersmantel drehte sich nicht einmal um.
    Er stand aufrecht vor dem Messingrad des Ruders, unerschütterlich, und sah starr geradeaus.
    Als die Schleusentore wieder geschlossen wurden, sprang Wladimir an Land und hielt seine Papiere und das traditionelle Trinkgeld hin.
    »Verdammt! Die Yachten können sich wirklich alles herausnehmen!« schimpfte ein Treidler. »Zehn Francs an jeder Schleuse, und schon …«
    Der Abschnitt unterhalb von Vitry-le-François war überfüllt. Selbst mit dem Bootshaken schien es kaum möglich, sich zwischen den Schiffen hindurchzuwinden, die darauf warteten, an die Reihe zu kommen.
    Und doch waren die Tore kaum geöffnet, als auch schon das Wasser um die Schiffsschraube herum aufwirbelte. Der Colonel stieß mit stoischer Miene den Schalthebel nach vorn.
    Und die ›Southern Cross‹ machte einen Satz und schoß in voller Fahrt ganz dicht an den schweren Lastkähnen vorbei, unter Schreien und Protesten, streifte aber keinen von ihnen.
    Zwei Minuten später verschwand sie hinter der Biegung, und Maigret sagte zu Lucas, der ihn begleitet hatte:
    »Die sind beide sturzbetrunken!«
    Niemand hatte es gemerkt. Der Colonel war korrekt und würdig, mit dem großen goldenen Schild in der Mitte seiner Mütze.
    Auch Wladimir in seinem gestreiften Seemannspullover, die Mütze nach hinten geschoben, hatte nicht eine falsche Bewegung gemacht.
    Nur, daß der breite Nacken von Sir Walter blauviolett war und sein Gesicht von krankhafter Blässe, mit schweren Säcken unter den Augen, die Lippen farblos.
    Was den Russen betraf, so hätte ihn der geringste Anstoß aus dem Gleichgewicht gebracht, denn er schlief im Stehen.
    An Bord der ›Providence‹ war alles dicht und totenstill. Die beiden Pferde waren hundert Meter vom Schiff entfernt an einen Baum angebunden.
    Und die Schiffer waren in die Stadt gegangen, um Trauerkleidung zu bestellen.
     
    Morsang, an Bord der ›Ostrogoth‹, Sommer 1930
     
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