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Wer viel fragt

Wer viel fragt

Titel: Wer viel fragt
Autoren: Michael Z. Lewin
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1
    Nach meinem Mittagsimbiß
     mußte ich eine weitreichende Entscheidung treffen. Sollte ich mich
     zum Lesen in mein Büro begeben oder im Wohnzimmer bleiben?
    Es war eine dieser
     Entscheidungen, bei denen man viel über sich selbst erfährt, darüber,
     wieviel Luxus man sich zu gönnen bereit ist. Das Zimmer, das ich
     bewohne, ist schöner als mein Büro. Der Sessel dort ist weicher,
     und man hat es nicht so weit, wenn man sich ein Glas Orangensaft holen
     will. Andererseits ist um zwei Uhr nachmittags die Geschäftszeit noch
     nicht zu Ende, ganz gleich, ob es Geschäfte gibt oder nicht. Und
     falls sich zufälligerweise ein Klient zu mir verirren sollte, würde
     es keinen guten Eindruck machen, wenn ich am Fenster im Hinterzimmer
     eingenickt war.
    Ich traf eine gewissenhafte
     Entscheidung. Ich nahm das Kopfkissen aus meinem Bett und trug es durch
     den niedrigen, rechteckigen, hellgrünen Raum, den ich mein Büro
     nenne. Ich breitete das Kissen auf dem Sitz meines Schreibtischsessels aus
     und ließ mich dann hineinsinken. »Müde bin ich, geh zur
     Ruh'…«
    Und dann begann ich wie in
     den sieben Tagen zuvor mit meiner Nachmittagslektüre. Der Oktober
     1970, dessen erste Hälfte jetzt ins Land gegangen war, schien sich
     zum flauesten Monat meiner detektivischen Existenz zu mausern.
    Um halb vier war ich wieder
     wach und ging in mich: Sollte ich wieder ins Wohnzimmer zurückkehren?
     Der Tag war voll von solchen Problemen. Die Geschäftszeit ging bis fünf,
     aber im Nachmittagsprogramm fangen die ersten Filme bereits um halb fünf
     an.
    Und dann geschah das
     Unerwartete. Ein Klient, nein, eine Klientin kam herein.
    Ich muß überrascht
     gewirkt haben, denn sie zögerte, blieb an der Tür stehen. Sie
     zog eine Augenbraue hoch und sagte: »Hätte ich klopfen sollen?«
     Ihr Tonfall ließ deutlich erkennen, daß sie das Schild mit der
     Aufschrift BITTE EINTRETEN an der Tür sehr wohl gelesen hatte. Der
     Optimismus, mit dem ich einst mein Büro eröffnet hatte, war längst
     dem grauen Alltag zum Opfer gefallen. Seither bin ich deutlich träger
     geworden.
    »Nein, nein«,
     sagte ich. »Kommen Sie herein. Setzen Sie sich.«
    Sie stutzte angesichts des
     staubigen Stuhls und setzte sich dann zögerlich hin. In Indianapolis
     ist die Luftverschmutzung ein echtes Problem; die Stühle werden
     zwischen den Klienten schnell einmal staubig.
    Sie war jung. Schulterlanges,
     nußbraunes Haar. Brille mit violett getönten Gläsern. Grüne
     Jacke und Hose. Ich holte mein Notizbuch aus der obersten
     Schreibtischschublade und schlug es auf.
    »Es mieft hier drin«,
     sagte sie.
    Ich seufzte und bereitete
     mich auf eine rasche Ernüchterung vor. Ich klappte mein Notizbuch
     wieder zu. »Halt. Tun Sie das nicht. Bitte! Ich möchte, daß
     Sie meinen biologischen Vater finden.«
    In den wenigen Sekunden, die
     unsere Bekanntschaft dauerte, hatte ich nicht bemerkt, wie angespannt sie
     war, aber jetzt spürte ich ganz deutlich, wie eine Welle der
     Entspannung ihren Körper durchlief. Ein junger Körper, der
     geschmackvoll und zurückhaltend heranreifte.
    »Ihren was?«
     fragte ich milde.
    »Meinen biologischen
     Vater! « Eine tiefe Falte legte sich zwischen die getönten
     Brillengläser. »Sie sind doch der Albert Samson, dessen Schild
     da an der Tür hängt, oder nicht?«
    Ich fand ihre Vermutung, daß
     der richtige Albert Samson sein Geld damit verdiente, biologische Väter
     ausfindig zu machen, nicht gerade schmeichelhaft. Ich gab mich
     herablassend.
    »Ich bin in der Tat
     Albert Samson, Miss. Aber ist Ihr biologischer Vater nicht zu Hause bei
     Ihrer biologischen Mutter?« Im Bett? Bei heruntergelassenen
     Jalousien?
    »Nein«, sagte sie
     bestimmt. »Genau dort ist er eben nicht.
    Werden Sie den Auftrag übernehmen?
     Werden Sie meinen biologischen Vater für mich finden?«
    Sie rutschte auf ihrem Stuhl
     hin und her, rieb den Staub ein.
    Und innerlich war sie schon längst
     davongaloppiert, viel weiter vorgeprescht, als es mir lieb war. Sie sah
     nach vielleicht zwanzig Jahren aus. Aber ihre Selbstbeherrschung - oder
     vielmehr der völlige Mangel derselben - deutete eher auf ein Mädchen
     von weit weniger Jahren hin.
    Ich schlug mein Notizbuch
     wieder auf und sagte: »Immer schön der Reihe nach. Ich brauche
     Ihren Namen und Ihre Adresse.«
    »Ich bin Eloise
     Crystal. Ich wohne auf dem North Jefferson Boulevard 7019.«
    Ganz wie es sich gehörte,
     kritzelte ich das Datum und diese
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