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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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seine Hand etwas Kaltes berührte.
    Bestürzt, weil das, was er angefaßt hatte, sich wie ein menschliches Gesicht anfühlte, holte er seine Laterne und leuchtete auf die Leiche, die Dizy auf den Kopf stellen und das Leben am Kanal in Unruhe versetzen sollte.
     
    Kommissar Maigret vom 1. Einsatzkommando der Kriminalpolizei bemühte sich, die Tatsachen zu rekapitulieren und in einen Zusammenhang zu bringen.
    Es war Montag abend. Noch am Morgen hatte die Staatsanwaltschaft von Epernay sich zur Tatortbesichtigung eingefunden, und nachdem auch der Erkennungsdienst und die Gerichtsmediziner erschienen waren, hatte man die Tote ins Leichenschauhaus gebracht.
    Es regnete immer noch: ein feiner, dichter und kalter Regen, der die ganze Nacht und auch den Tag über nicht aufgehört hatte.
    Auf den Toren der Schleuse, in der sich ein Schiff kaum merklich hob, sah man undeutliche Gestalten hin und her gehen.
    Der Kommissar war vor einer Stunde eingetroffen, und seitdem versuchte er nichts anderes, als sich mit einer Welt vertraut zu machen, die er unversehens entdeckt hatte und von der er bei seiner Ankunft nur falsche oder verworrene Vorstellungen gehabt hatte.
    Der Schleusenwärter hatte ihm gesagt:
    »Hier in diesem Abschnitt des Kanals war so gut wie nichts los: zwei Motorschiffe, die stromabwärts fuhren, eines, das stromaufwärts fuhr und am Nachmittag durchgeschleust worden war, ein Baggerschiff und zwei Panamas. Und dann ist der Pott mit seinen vier Schleppkähnen angekommen …«
    Und Maigret erfuhr, daß ein Pott ein Schlepper war und ein Panama ein Kahn, der weder einen Motor noch Pferde an Bord hatte und für den man einen Treidler mit seinen Pferden für eine bestimmte Strecke anheuerte.
    Als er in Dizy angekommen war, hatte er nur einen schmalen Kanal gesehen, drei Kilometer von Epernay entfernt, und ein unbedeutendes Dorf an einer Steinbrücke.
    Er hatte durch den Schlamm stiefeln müssen, den Leinpfad entlang, bis zu der Schleuse, die ihrerseits zwei Kilometer von Dizy entfernt war.
    Und dort hatte er das Haus des Schleusenwärters gesehen, aus grauem Stein, mit dem Schild »Schleusenmeisterei«.
    Und er war in das Café de la Marine gegangen, das einzige andere Gebäude in der Nähe.
    Links ein ärmlicher Schankraum mit braunem Wachstuch auf den Tischen und mit Wänden, die bis zu halber Höhe braun und darüber schmutziggelb gestrichen waren.
    Aber es herrschte ein charakteristischer Geruch darin, der allein genügte, um das Lokal von einer Wirtschaft auf dem Lande zu unterscheiden. Es roch nach Stall, Pferdegeschirr, Teer, Kolonialwaren, Petroleum und Dieselöl.
    Die Tür auf der rechten Seite war mit einer kleinen Glocke versehen, und an den Scheiben klebten transparente Reklameschilder.
    Der Raum dahinter war mit Waren vollgestopft: Ölzeug, Holzschuhe, Leinenkleidung, Säcke mit Kartoffeln, Speiseöl in Kanistern, Kisten mit Zucker, Erbsen, Bohnen und mittendrin Gemüse und Geschirr.
    Kein einziger Kunde war zu sehen. Im Stall war nur noch das Pferd, das der Wirt anspannte, wenn er auf den Markt fuhr, ein großes, graues Tier, das so zutraulich wie ein Hund war, nicht angebunden wurde und von Zeit zu Zeit zwischen den Hühnern über den Hof trottete.
    Alles war tropfnaß vom Regen, dessen Monotonie alles beherrschte. Die Leute, die vorbeikamen, waren schwarz und glänzend und vornübergebeugt.
    Hundert Meter weiter fuhr eine Schmalspurbahn auf einem Lagerplatz hin und her, und der Lokführer, der hinter seiner Miniaturlokomotive stand, hatte einen Regenschirm befestigt, unter dem er fröstelnd mit hochgezogenen Schultern stand.
    Ein Schleppkahn löste sich vom Ufer und wurde mit einem Bootshaken auf die Schleuse zu gestakt, die ein anderer Kahn gerade verließ.
    Wie war die Frau hierher gekommen und warum? Das war die Frage, die sich die Polizei von Epernay, die Staatsanwaltschaft, die Gerichtsmediziner und die Spezialisten vom Erkennungsdienst voller Verblüffung gestellt hatten und über die auch Maigret sich wieder und wieder den Kopf zerbrach.
    Sie war erwürgt worden; soviel stand jedenfalls fest. Der Tod war am Sonntagabend eingetreten, wahrscheinlich gegen halb elf.
    Und die Leiche war kurz nach vier Uhr morgens im Pferdestall entdeckt worden.
    Keine Straße führte in der Nähe der Schleuse vorbei. Und es gab nichts, das jemanden hätte hierher locken können, der mit der Binnenschiffahrt nichts zu tun hatte. Der Leinpfad war so eng, daß er für Autos nicht befahrbar war. Und in jener Nacht hätte
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