Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Jüngeren zu.
    Und dieser wiederholte laut, als sei er es gewohnt, Befehle auf diese Weise weiterzugeben:
    »Eine Flasche! … Vom gleichen!«
    Maigret kam aus seiner Ecke heraus, in der er vor einer Flasche Bier gesessen hatte.
    »Entschuldigen Sie, meine Herren … Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine Frage stelle?«
    Der Ältere wies mit einer Geste auf seinen Begleiter, die bedeutete:
    »Wenden Sie sich an ihn!«
    Er zeigte weder Erstaunen noch Interesse. Der Matrose goß sich zu trinken ein und schnitt die Spitze einer Zigarre ab.
    »Sind Sie von der Marne gekommen?«
    »Von der Marne, natürlich.«
    »Haben Sie letzte Nacht weit von hier festgemacht?«
    Der Größere drehte den Kopf und sagte auf englisch:
    »Sag ihm, daß ihn das nichts angeht!«
    Maigret gab vor, nicht verstanden zu haben, zog ohne ein weiteres Wort die Fotografie der Leiche aus seiner Brieftasche und legte sie auf das braune Wachstuch des Tisches.
    Die Schiffer, die an ihren Tischen saßen oder an der Theke standen, verfolgten die Szene mit den Augen.
    Der Mann von der Yacht bewegte kaum den Kopf, um das Foto zu betrachten. Dann sah er Maigret prüfend an und seufzte:
    »Polizei?«
    Er hatte einen starken englischen Akzent und eine müde Stimme.
    »Kriminalpolizei! Hier ist letzte Nacht ein Mord begangen worden. Das Opfer konnte noch nicht identifiziert werden.«
    »Wo sie befindet sich?« fragte der andere, indem er sich erhob und auf das Porträt zeigte.
    »Im Leichenschauhaus von Epernay. Kennen Sie sie?«
    Das Gesicht des Engländers war undurchdringlich. Maigret bemerkte jedoch, daß sein enormer, apoplektischer Hals rotviolett geworden war.
    Er nahm seine weiße Mütze, die er auf seinen beinahe kahlen Schädel setzte, und knurrte auf englisch, indem er sich zu seinem Begleiter wandte:
    »Schon wieder Komplikationen!«
    Und dann, ohne sich um die Neugier der Schiffer zu kümmern, erklärte er, indem er an seiner Zigarette zog:
    »Das ist mein Frau.«
    Man hörte den Regen deutlicher gegen die Fensterscheiben prasseln und sogar das Kreischen der Winden an der Schleuse. Die Stille dauerte einige Sekunden, eine absolute Stille, als hätte alles Leben ausgesetzt.
    »Zahlen Sie, Willy …«
    Der Engländer warf sich den Ölmantel über, ohne die Arme in die Ärmel zu stecken, und brummte, an Maigret gerichtet:
    »Kommen Sie mit auf meine Boot …«
    Der Matrose, den er Wladimir genannt hatte, leerte die Flasche Wein und verschwand dann, wie er gekommen war, zusammen mit Willy.
    Das erste, was der Kommissar sah, als er an Bord kam, war eine Frau im Morgenrock, mit bloßen Füßen und ungekämmtem Haar, die auf einer mit granatfarbenem Samt bezogenen Koje lag und schlief.
    Der Engländer faßte sie an die Schulter, und mit derselben Gleichgültigkeit wie zuvor, in einem Ton, dem jede Galanterie abging, kommandierte er:
    »Geh raus.«
    Dann wartete er, während sein Blick ziellos über den Klapptisch wanderte, auf dem eine Flasche Whisky und ein halbes Dutzend schmutziger Gläser sowie ein Aschenbecher standen, der von Zigarettenstummeln überquoll.
    Schließlich goß er sich mechanisch zu trinken ein und schob die Flasche mit einer Geste auf Maigret zu, die soviel bedeutete wie:
    »Wenn Sie wollen …«
    Ein Schleppkahn fuhr dicht vor den Bullaugen vorüber, und fünfzig Meter weiter hielt der Treidler seine Pferde an, deren Glöckchen man klingeln hörte.

2
    Die Gäste der ›Southern Cross‹
    Maigret war fast ebenso groß und stämmig wie der Engländer. Am Quai des Orfèvres galt seine unerschütterliche Ruhe als legendär. Aber diesmal machte ihn die Teilnahmslosigkeit seines Gesprächspartners nervös.
    Und diese Teilnahmslosigkeit schien das Leben an Bord zu beherrschen. Vom Matrosen Wladimir bis zu der Frau, die aus ihrem Schlaf gerissen worden war, hatten alle denselben gleichgültigen oder abgestumpften Ausdruck. Sie waren wie Leute, die man am Morgen nach einem fürchterlichen Besäufnis aus dem Bett zerrt.
    Ein Detail unter hundert: Während die Frau sich erhob und eine Schachtel Zigaretten suchte, erblickte sie das Foto, das der Engländer auf den Tisch gelegt hatte und das auf dem kurzen Weg vom Café de la Marine bis zur Yacht naß geworden war.
    »Mary?« fragte sie und schien höchstens ein wenig überrascht zu sein.
    »Mary, yes !«
    Und das war alles! Sie ging durch eine Tür hinaus, die sich zum Bug hin öffnete und zum Waschraum zu führen schien.
    Willy erschien an Deck und beugte sich über die Treppenluke nieder. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher