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Maigret und der Treidler der Providence

Maigret und der Treidler der Providence

Titel: Maigret und der Treidler der Providence
Autoren: Georges Simenon
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Salon war winzig. Die Trennwände aus lackiertem Mahagoni waren dünn, und von nebenan mußte man alles hören können, denn der Eigner der Yacht runzelte die Stirn, während er erst einen Blick in diese Richtung und dann zu dem jungen Mann hin warf, zu dem er ungeduldig sagte:
    »Machen Sie schon! Kommen Sie herein.«
    Und unvermittelt zu Maigret:
    »Sir Walter Lampson, Colonel der Indischen Armee im Ruhestand.«
    Bei dieser Vorstellung deutete er eine knappe Verbeugung an und wies dabei mit einer Handbewegung auf die Sitzbank.
    »Und der Herr dort?« fragte der Kommissar, indem er sich Willy zuwandte.
    »Ein Freund … Willy Marco.«
    »Spanier?«
    Der Colonel zuckte die Schultern. Maigret sah forschend in das eindeutig jüdisch anmutende Gesicht des jungen Mannes.
    »Mein Vater war Grieche. Meine Mutter Ungarin.«
    »Ich sehe mich gezwungen, Ihnen eine Reihe von Fragen zu stellen, Sir Walter …«
    Willy hatte sich ungeniert auf die Lehne eines Stuhls gesetzt und balancierte darauf, während er eine Zigarette rauchte.
    »Ich höre!«
    Aber gerade als Maigret zu sprechen anfing, sagte der Yachtbesitzer:
    »Wer hat es getan? Man weiß?«
    Er meinte den Mörder.
    »Bis jetzt hat man noch nichts herausbekommen. Deshalb wäre es von großem Wert für die Ermittlungen, wenn Sie mir zu bestimmten Punkten Auskunft geben könnten …«
    »Mit eine Schnur?« fragte er weiter und hob die Hand zum Hals.
    »Nein! Der Mörder hat nur seine Hände benutzt. Wann haben Sie Mrs. Lampson zum letzten Mal gesehen?«
    »Willy …«
    Willy war offensichtlich Mädchen für alles, gleichgültig, ob es darum ging, Getränke zu bestellen oder die Fragen zu beantworten, die man dem Colonel stellte.
    »In Meaux, am Donnerstag abend«, sagte er.
    »Und Sie haben ihr Verschwinden nicht der Polizei angezeigt?«
    Sir Walter goß sich noch einen Whisky ein.
    »Warum? Sie ging immer ihre eigenen Wege.«
    »Verschwand sie häufiger auf diese Weise?«
    »Manchmal.«
    Der Regen prasselte auf das Deck über ihren Köpfen. Die Dämmerung wich der Nacht, und Willy Marco drehte den Lichtschalter.
    »Sind die Akkus aufgeladen?« fragte der Colonel ihn auf englisch. »Nicht, daß wir wieder wie neulich dastehen …«
    Maigret versuchte, System in seine Vernehmung zu bringen. Aber immer neue Eindrücke beanspruchten seine Aufmerksamkeit.
    Unwillkürlich betrachtete er alles, dachte an alles gleichzeitig, so sehr, daß ihm der Kopf vor verworrenen Ideen nur so schwirrte.
    Es war weniger Entrüstung als vielmehr Verlegenheit, die er diesem Mann gegenüber empfand, der im Café de la Marine einen Blick auf das Foto geworfen und ohne zusammenzuzucken erklärt hatte:
    »Das ist mein Frau.«
    Und er sah die Unbekannte im Morgenrock wieder vor sich, wie sie fragte:
    »Mary?«
    Und nun balancierte Willy Marco unaufhörlich auf dem Stuhl, die Zigarette zwischen den Lippen, während der Colonel sich Sorgen um die Akkumulatoren machte!
    In der neutralen Atmosphäre seines Büros wäre es dem Kommissar wahrscheinlich nicht schwergefallen, eine geordnete Vernehmung zuwege zu bringen. Hier aber zog er erst einmal seinen Mantel aus, ohne darum gebeten worden zu sein, und nahm das Foto wieder an sich, das wie alle Aufnahmen von Leichen grausig war.
    »Leben Sie in Frankreich?«
    »Frankreich, England, manchmal Italien … Immer mit meine Boot, die ›Southern Cross‹ …«
    »Von wo kommen Sie jetzt?«
    »Paris!« antwortete Willy, dem der Colonel ein Zeichen gegeben hatte, daß er sprechen solle. »Wir haben dort etwa zwei Wochen verbracht, nachdem wir uns einen Monat in London aufgehalten hatten …«
    »Wohnten Sie an Bord?«
    »Nein! Das Boot lag in Auteuil. Wir sind im Hotel Raspail abgestiegen, am Montparnasse.«
    »Der Colonel, seine Frau, die Dame, die ich eben gesehen habe, und Sie?«
    »Ja! Die Dame ist die Witwe eines chilenischen Abgeordneten, Madame Negretti.«
    Sir Walter stieß einen ungeduldigen Seufzer aus und fiel erneut ins Englische zurück:
    »Erklären Sie es rasch, sonst sitzt er morgen früh noch hier.«
    Maigret zuckte nicht mit der Wimper. Nur stellte er seine Fragen von jetzt an mit einer Spur Brutalität.
    »Madame Negretti ist nicht mit einem von Ihnen verwandt?« fragte er Willy.
    »Absolut nicht.«
    »Es bestehen also gar keine verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihr und Ihnen … Würden Sie mir sagen, wie die Kabinen angeordnet sind?«
    Sir Walter schluckte seinen Whisky hinunter, hustete und zündete sich eine Zigarette an.
    »Vorne
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