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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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hat sich dieses Wort
ausgedacht – und er hat damit den Rhythmus einer neuen Zeit vorgegeben.
    1948 geboren, wuchs der »Erfinder des Cyberspace« keineswegs in einem jener großen urbanen Zentren der USA auf, die später als außer Kontrolle geratene Kulisse für seine Geschichten dienen sollten, sondern in der Provinz von South Carolina und Virginia. Es war eine von zahlreichen Brüchen geprägte Zeit: Mit sechs Jahren verlor Gibson den Vater, mit fünfzehn wurde er in eine Privatschule nach Arizona geschickt, die er drei Jahre später, als seine Mutter starb, ohne Abschluss verließ. Um dem Militärdienst in Vietnam zu entgehen, zog er nach Kanada, wo er sich, neben Studium und Familiengründung, kopfüber in die »Gegenkultur« stürzte und die Literatur jenseits der grellen Science-Fiction-Magazine seiner Jugend entdeckte. William S. Burroughs zeigte ihm, wie man einen Plot collagierte, Thomas Pynchon ließ die Tiefenstruktur der Welt erahnen, und J. G. Ballard wies auf die Notwendigkeit hin, kulturelle Artefakte zu dechiffrieren. Und dann, irgendwann in den späten Siebzigern, betrat Gibson eines Tages in Vancouver eine jener Videospielhallen, die damals der letzte Schrei adoleszenter Freizeitgestaltung waren, und machte eine folgenschwere Beobachtung:
    »Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Videospielen, und es war mir peinlich, eine dieser Spielhallen aufzusuchen, weil alle dort viel jünger waren als ich. Doch als ich dann hineinging, merkte ich an der Intensität ihres körperlichen Einsatzes, wie versunken diese Kids waren. Es kam mir vor, als wäre eines der geschlossenen Systeme aus einem Roman von Pynchon Wirklichkeit geworden: Eine Rückkopplungsschleife aus Photonen, die aus dem Bildschirm heraus in die Augen der Kids strömten, Neutronen, die durch ihren Körper flossen, und Elektronen, die durch den Computer flossen. Und diese
Kids glaubten offensichtlich an die Realität des Raumes, den diese Spiele projizierten. Jeder, der mit Computern arbeitet, scheint einen intuitiven Glauben daran zu entwickeln, dass hinter dem Bildschirm ein wirklicher Raum existiert.«
    Der Raum hinter dem Bildschirm … Ganz neu war das nicht; die »künstliche Realität« war seit eh und je ein beliebtes Thema in der Science Fiction. Autoren wie Philip K. Dick, Harlan Ellison, Daniel F. Galouye und Vernor Vinge hatten Romane geschrieben, in denen Simulationen unsere Welt bevölkern oder sich die Welt selbst als Simulation herausstellt, Stanislaw Lem hatte in seiner »Summa technologiae« mit der »Phantomatik« eine Art Philosophie des Virtuellen eröffnet, und der Disney-Film Tron hatte erstmals einen Eindruck vermittelt, wie es in einem Videospiel zugehen könnte. All diese Einflüsse schlugen sich in Gibsons frühen Kurzgeschichten »Johnny Mnemonic« und »Chrom brennt« nieder, in denen er die nicht allzu ferne Zukunft als Mischung aus High Tech und Low Life zeichnete: Eine Zukunft, in der sich gigantische Stadtlandschaften, »Sprawls«, über die Erde ausbreiten, in der sich »Cowboys« in die Datenspeicher der Großkonzerne hacken, in der man sich per »Simstim« in die Gefühlswelt anderer Menschen einloggt. Die Kurzgeschichten wurden erstmals in dem SF-Magazin OMNI publiziert, und wer sie las, konnte das enorme erzählerische und visionäre Talent erahnen, das hier nach einer Stimme suchte. »Mir kam«, so Autorenkollege John Shirley, »bei der Lektüre als Analogie in den Sinn, wie ich Jimi Hendrix zum ersten Mal Gitarre spielen gehört habe. Nicht dass Gibson auch so ungestüm gewesen wäre – aber beide erweckten den Anschein, als ginge ihnen ein meisterhafter Ausdruck mühelos von der Hand, und beide hatten eine künstliche Stimme geschaffen, die ganz neu, wahrhaftig zeitgemäß und zugleich ihrer Zeit voraus war.«

    Es war diese scheinbare Mühelosigkeit und Künstlichkeit, die schließlich auch den Reiz des ersten Satzes von »Neuromancer« ausmachte: »Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war.« Der Satz gehört inzwischen zu einem der meistzitierten der modernen Literatur – völlig zurecht, ist er doch einer jener Sätze, die wie in einer Nussschale ein ganzes ästhetisches Universum beinhalten. Der entscheidende Satz des Romans jedoch, der Satz, der alles veränderte, fand sich erst einige Seiten später:
    »Cyberspace. Eine Konsens-Halluzination, tagtäglich erlebt von Milliarden zugriffsberechtigter Nutzer in allen Ländern, von Kindern,
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