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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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|6| 1. Kapitel
    Hanns ist voller Tatendrang. Er hat den Ehrgeiz, sie jetzt sofort rumzukriegen. Vroni, bettelt er. Du hast noch eine halbe Stunde.
    Ihr ist aber nicht danach. Nicht jetzt, kurz bevor sie fortmuss. Der bevorstehende Termin macht sie sowieso schon ganz nervös.
    Nenn mich nicht Vroni. Ich heiße Veronika.
    Sie schubst Hanns von sich runter und setzt sich kerzengerade auf die Bettkante. Nimmt den Büstenhalter vom Stuhl und freut sich, dass es einer ist, den man vorne schließen kann. Ihre Hände sind hin und wieder etwas steif. Manchmal fummelt sie ewig auf ihrem Rücken rum, um die kleinen Haken in die winzigen Ösen zu bekommen. Und das alles für Körbchengröße B. Da könnte sie auch ohne rumlaufen. Immer noch, trotz der vierundvierzig Jahre. Ich sollte Sport machen, denkt sie den häufigsten aller Gedanken. Irgendetwas, Gymnastik, Volleyball, Nordic Walking, Yoga. Weiß der Himmel. All das wäre besser als nichts.
    Hanns sieht ihr beim Anziehen zu und versucht, sein Begehren in den Griff zu bekommen. Er weiß, dass mit Vroni, Veronika, nicht zu spaßen ist. Wenn sie nicht will, weil sie nervös ist, hilft gar nichts. Früher hat er dann hin und wieder noch zu ihr gesagt, wie schön doch der Schwanz sei, den er sich gerade gebaut habe. Dann hat sie manchmal gelacht und ihn gewähren lassen. Aber das ist schon lange her. Vroni. Veronika braucht Vorlauf und Nachbereitung beim Sex. Hanns seufzt und seufzt seinen |7| Schwanz immer kleiner. Wenn sie fort ist, kann er ja. Aber dazu fehlt ihm dann wahrscheinlich auch die Lust.
    Er steht auf und geht in die Küche. Kocht sich einen Kaffee und einen Tee für Veronika. Die kommt angezogen und geschminkt hinterher. Hanns, sagt sie und streichelt ihm über den Rücken. Tut mir leid. Wirklich.
    Das weiß er. Sie steht unter Druck und er auch. Seit ihm die Ernährerrolle abhandengekommen ist, haben die Dinge sich verändert. Müßig, darüber zu spekulieren, ob das nun der Anfang vom Ende ihrer Ehe sein könnte. Sie werden es rechtzeitig merken. Glaubt er. So viel Sensibilität hat er schon, trotz des Kummers. Außerdem wendet sich ja vielleicht auch alles wieder zum Besseren.
    Veronika nippt am Tee und denkt an ihren Termin. Wenn sie diesen Job bekommt, sind die nächsten drei Monate gerettet. Wenn nicht, wird man rechnen müssen. Und die Renovierung des Wohnzimmers verschieben. Hanns bekommt in der nächsten Woche seine Chance. Über die haben sie lange geredet. Schließlich müssten sie getrennt leben, wenn es klappt. Später, denkt sie, verschieben wir jetzt mal alles auf später. Ich muss los.
    Hanns tut etwas, was er schon lange nicht mehr getan hat. Er greift ihr in die Bluse und tastet mit den Fingern. Sie schaut aus dem Fenster, über seine Schulter hinweg, und sieht, dass die Bauarbeiten unten kurz vor dem Abschluss stehen. Bald wird die Straßenbahn wieder fahren. Vielleicht schon morgen.
    Hanns zieht seine Hand wieder aus der Bluse und steckt sie in die Hosentasche. Was er da wohl damit macht, denkt Veronika, und nun tut er ihr noch mehr leid. Sie wird Wein kaufen und ein paar Tapas für den Abend. Vielleicht lässt sich alles wieder einrenken.
    Sie zieht die Jacke an und nimmt den Autoschlüssel. Hanns bekommt einen flüchtigen Kuss auf die Wange |8| und eine gemurmelte Entschuldigung. Im Fahrstuhl geht Veronika noch einmal ihren Text durch. Sie hat das Konzept im Kopf. War auch nicht schwer, sich das auszudenken. Die Probleme in dem Laden liegen auf der Hand. Wenn die sie einkaufen, haben sie das in drei Monaten in den Griff gekriegt. Und sie kann ihr Wohnzimmer renovieren. Endlich.
    Vor zwei Monaten waren wie aus dem Nichts, aber in Wahrheit aus einer verrotteten Puddingpulvertüte, Lebensmittelmotten aufgetaucht. Und danach widerliche kleine Würmer. Larven wahrscheinlich. Immer wenn sie so ein ekliges Stück Fleisch an der Wand kleben sah, hat sie draufgehauen. Die Tapete ist voller Fettflecke. Und staubiger Mottenreste. Renovieren wäre wirklich nötig. Ein bisschen Farbe sowieso. Sie hat dieses Klinikweiß satt bis obenhin.
    Im Briefkasten liegen vier Werbeprospekte, eine kostenlose Wochenzeitung und ein Brief, der an sie gerichtet ist. Kein Absender. Sie schmeißt den Werbekram weg, steckt den Brief in die Umhängetasche und öffnet dem dicklichen Paketboten die Tür. Der schenkt ihr einen Dackelblick, und sie sagt: Mein Mann ist da, bei dem können Sie die Sendungen für die Nachbarn abgeben. Seit sie zu Hause arbeitet, landen alle Pakete
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