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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn
Autoren: Marcia Muller
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ich selbst und meine
Freunde aus dem sechsten Stock, die Brüder Dinh. Wir haben nichts gesehen.«
    »Gut.« Ich zog Block und Bleistift
hervor und fing an, mir Notizen zu machen. »Was ist mit diesen »Schatten im
Treppenhaus‹? Wie sehen die aus?«
    Lan Vang sagte: »Große, merkwürdige
Schatten. Sonderbar geformt. Sie warten auf die Kinder und erschrecken sie.«
    »Können Sie sie ein wenig genauer
beschreiben?«
    Mrs. Vang schaute zu Billy hinüber, dem
pausbäckigen kleinen Jungen auf der Armlehne der Couch, und sagte etwas in
Vietnamesisch. Billy richtete sich auf und schien vor Wichtigkeit
anzuschwellen. »Ich habe sie gesehen, zweimal. Jenny hat sie auch gesehen.«
    Das kleine Mädchen nickte ernst.
    »War es ein Schatten? Oder mehr als
einer?« erkundigte ich mich.
    »Immer nur einer auf einmal.«
    »Wie sah er aus?«
    »Groß.« Er breitete die Arme hoch über
seinem Kopf weit aus.
    »Groß, so wie große Menschen?« ‘
    »Nein.«
    »Wie ein Tier?«
    »Nein...« Er wirkte niedergeschlagen,
doch dann hellte sich sein Gesicht auf. »Vielleicht wie ein Elefant.«
    Prächtig, dachte ich. Ein Flüchtling
aus dem Zoo sucht das Tenderloin heim. »Billy, wo hast du den Schatten
gesehen?«
    Er warf mir einen bösen Blick zu. »Mama
hat es doch gesagt, im Treppenhaus.«
    »Wo im Treppenhaus?«
    Billy runzelte die Stirn.
    Vom Boden aus meldete sich Jenny: »An
der Wand.«
    Ich sah zu ihr hinunter. »Hat er sich
bewegt?«
    »Ja. Zuerst stand er still. Dann tanzte
er herum und ging nach oben, um die Kurve zum nächsten Stockwerk.«
    »Seid ihr ihm gefolgt?«
    »Nein!«
    »Was habt ihr dann getan?«
    »Geschrien und Mama geholt. Sie ist
gekommen und hat geschaut, aber da war er schon fort.«
    »Danke, Jenny.«
    Offensichtlich stolz darauf, den Platz
ihres Bruders im Scheinwerferlicht an sich gerissen zu haben, drehte sich Jenny
zu Billy um und streckte ihm die Zunge heraus. Dies Kind war also doch kein
solcher Engel, wie es zuerst den Anschein gehabt hatte.
    Ich wandte mich wieder an Lan Vang.
»Mrs. Vang, wie war das, wenn der Fahrstuhl steckenblieb? War das während der
Stromausfälle?«
    »Ja, richtig. Aber auch zu anderen
Zeiten. Ohne irgendeinen Grund blieb er plötzlich zwischen zwei Stockwerken
stecken. Einmal war Mrs. Dinh gerade drin; sie ist schwanger, und wir hatten
schon Angst um ihr ungeborenes Kind.«
    »Ist irgend jemand hiergewesen, um den
Fahrstuhl zu inspizieren?«
    »Nein. Die Hausmeisterin hat den
Besitzer gebeten, jemanden zu schicken, und der hat es versprochen. Aber es ist
dann doch niemand gekommen...«
    Ich wandte mich an Carolyn. »Was ist
mit diesem Besitzer?«
    »Das ist eine andere Geschichte. Erzähl’
ich dir später.«
    Ich dachte nach. »Hat irgend jemand
sich wegen all dieser Vorkommnisse mit der Polizei in Verbindung gesetzt?«
    Mrs. Vang sagte: »Da ist ein Gehpolizist
— «
    »Streifenpolizist«, verbesserte
Carolyn.
    »Ja, Streifenpolizist. Ein Patrolman
Sanders. Ich sprach mit ihm, und er kam ins Hotel und sah sich um. Aber er hat
auch nichts gefunden. Er sagte, er könnte nicht mehr tun, solange nicht jemand
verletzt würde oder ohne Beweis für das, was ich ihm erzählt habe. Er war sehr
nett, aber er konnte uns nicht helfen.«
    Ich schaute auf das Gekritzel in meinem
Notizbuch und fragte mich, wie ernst der Beamte Mrs. Vangs Klage genommen und
ob er darüber Bericht erstattet hatte. »Gut«, sagte ich, »jetzt hätte ich gern
eine Liste der Ereignisse, mit Datum.«
    Lan Vang setzte das Baby auf Jennys
Schoß und erhob sich. Sie trat zu einem kleinen Tisch neben der Couch und holte
ein Blatt aus der Schublade. Sie reichte es mir und erklärte: »Wir haben es
alles aufgeschrieben.«
    Ich faltete das Blatt auf und sah eine
sauber geschriebene Liste. Sie bestand aus zwei Spalten mit Daten und
Ereignissen. Der erste Eintrag war vom 17. November, und da stand: »Jenny Vang
wird von Geheul im Heizungskeller erschreckt. Mrs. Zemanek geht nach unten,
sagt, da ist niemand.«
    »Wer ist Mrs. Zemanek?« erkundigte ich
mich.
    »Die Hausmeisterin«, erklärte Carolyn.
»Wir besuchen sie später.«
    »Okay.« Ich warf noch einen Blick auf
die Liste, froh über ihre Genauigkeit. Wenn nur all meine Klienten so gut
vorbereitet wären. »Ich glaube, ich sollte die Liste studieren, mich umsehen,
und mich dann, wenn ich noch Fragen habe, wieder mit ihnen allen treffen«,
schlug ich vor. »Würde Ihnen heute abend passen?«
    Lan Vang antwortete: »Das müßte sehr
spät sein. Wir müssen bis nach
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