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Das Herz kennt die Wahrheit

Das Herz kennt die Wahrheit

Titel: Das Herz kennt die Wahrheit
Autoren: Ruth Langan
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Prolog
     
    Cornwall, 1655
     
    "Ein Unwetter zieht auf, Kinder." Miss Winifred Mellon, das Kindermädchen der vier Lambert-Kinder, schritt forsch über das steinige Ufer, formte die Hände zu einem Trichter und rief in den Wind hinein. Der Strand nahe dem Wohnsitz der Lamberts, MaryCastle, war mit Felsbrocken übersät. Einige waren von beträchtlicher Größe und boten einem Kind den Anreiz, einen dieser trefflichen Sitzplätze zu erklettern. Von dort oben konnte man wunderbar beobachten, wie die aufgetürmten Wolken über den Atlantik zogen.
    Der junge James, mit zwölf Jahren das älteste Kind der Lamberts, schaute auf und ging dann seinem besten Freund Gray Barton nach, der schon bald dreizehn wurde. Grays Vater war ein Schiffskapitän, der seinem Sohn bereits erlaubt hatte, ihn auf See zu begleiten. Im Stillen bewunderten die Lambert-Kinder Gray dafür, denn insgeheim träumten alle vier davon, eines Tages zur See zu fahren.
    Grays schwarzes Haar wehte im Wind, als er sicher über eine Reihe rutschiger, eiförmiger Felsblöcke kletterte. James hatte alle Mühe mitzuhalten.
    "Wo sind deine Schwestern?" fragte Miss Mellon besorgt.
    James zuckte mit den Schultern. "Als ich sie zuletzt sah, wollte Ambrosia unbedingt von Newt lernen, wie man spuckt."
    Empört rümpfte Miss Mellon die Nase, während die beiden Jungen lachten. Newton Findlay war Matrose gewesen an Bord des Familienschiffs, der "Undaunted", bis er durch einen Hai ein Bein verloren hatte. Jetzt arbeitete er für die Familie an Land und ertrug gutmütig und geduldig die abertausend Fragen, die vier kleine Kinder jeden Tag zu stellen pflegten.
    Seit dem frühen, tragischen Tod von Mrs. Lambert war Miss Mellon für die Kindererziehung verantwortlich. Trotz ihrer hartnäckigen Bemühungen weigerten sich die drei Mädchen jedoch beharrlich, sich wie junge Damen zu benehmen. Sie verachteten Musik, Handarbeit und Kunst und zogen es stattdessen vor, mit Holzschwertern zu kämpfen, auf den Mast des väterlichen Schiffes zu klettern oder im offenen Meer zu schwimmen, in Begleitung allerhand ungeratener Kerle. Allein dieser Gedanke raubte der armen Frau die Kraft.
    "Und die beiden anderen? Bethany und Darcy?"
    James deutete mit dem Finger in die Ferne. "Bethany hofft, dort oben auf der Anhöhe das Unwetter am besten sehen zu können."
    Beklommen drehte das Kindermädchen sich um und entdeckte den kleinen Rotschopf, der die Arme in den Himmel reckte. "Was macht sie da, James?"
    "Sie guckt, ob ein Blitz einschlägt."
    Während die beiden Jungen sich angrinsten, stieß das Kindermädchen einen Schrei aus, raffte die Röcke und rannte, so schnell sie nur konnte, davon. Minuten später verließ sie völlig außer Atem und mit verschmutztem Rocksaum die Anhöhe und zerrte die sechsjährige Bethany hinter sich her.
    Als sie endlich wieder in der Lage war zu sprechen, fragte sie das Mädchen: "Und wo ist Darcy?"
    "Da draußen." Bethany zeigte auf die dunklen, aufgewühlten Wellen, die sich an der Küste brachen.
    "Was soll das heißen? Sie ist doch nicht etwa im Meer?"
    "Doch."
    Dem Kindermädchen blieb beinahe das Herz stehen. "Wer ist bei ihr?"
    "Niemand, Winnie."
    Die Augen der armen Frau weiteten sich vor Angst. "Deine kleine Schwester ist allein? Im Meer? Während ein Unwetter naht?"
    Als das Mädchen nickte, wurde Miss Mellon so bleich wie ihre Röcke und rannte in Richtung des Hauses. "Himmel!" rief sie. "Newt! Newton Findlay! Ihr müsst sofort kommen! Unsere kleine Darcy ist da draußen in dem Sturm!"
    Der alte Seemann hörte das Rufen und trat aus dem Schuppen heraus, wo er gerade einige Segel flickte. "Was ist mit unserer Darcy?"
    In ihrem grenzenlosen Entsetzen vermochte das Kindermädchen kaum ein Wort hervorzubringen, und so stammelte sie mit erstickter Stimme: "Unsere Kleine hat das Boot genommen, Newton. Seht doch!" Fassungslos starrten die beiden auf die aufgewühlte See. Das winzige Boot, das wie eine Nussschale hin und her geworfen wurde, war kaum noch zu erkennen.
    Mehr hinkend als rennend stürmte der alte Seemann los, so schnell sein Holzbein es zuließ. Doch lange bevor er das Ufer erreichte, hatte Gray Barton bereits sein Hemd abgestreift und war in die kalten Fluten des Atlantiks gesprungen.
    "O gütiger Himmel!" Mit nassen Röcken stand Miss Mellon in der schäumenden Brandung; das Wasser lief ihr in die hohen Lederstiefel. Sie umklammerte den Arm des alten Matrosen so fest, dass ihre Nägel sich in seine Haut bohrten.
    Hilflos mussten die
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