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Narrentod

Titel: Narrentod
Autoren: Gmeiner-Verlag
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der Homepage das vollständige Kader vorgestellt. Die Oberleutnants der ersten, zweiten und vierten Kompanie, alles Schülerinnen vom Progy , der Oberleutnant der dritten Kompanie, ein Mädchen der Oberstufenschule Länggasse, der Oberleutnant der fünften Kompanie, ein Schüler der Schule Buchholz, übrigens der einzige Junge im Offiziersrang. Spielführer und Tambourenchef bekleiden je einen Leutnantsgrad. Wo bleiben nur die Burschen? Ob es an der Gewichtung zwischen Sport und Schulleistung liegt, dass in der Armee der blauen Kadetten in den letzten Jahren die Frauen dominieren?
    Ich erhebe mich, lasse das Notebook stehen und schlendere in meine kleine Küche. Dort öffne ich ein Fenster. Zwei Amseln diskutieren angeregt im Geäst vor dem Haus. Endlose Autokolonnen brummen über die Hofstettenstrasse Richtung Thun und Interlaken. Von der Seepromenade her tönen Kindergeschrei und das harte Scheppern von Rollbrettern. Ich schau mich in der Küche um. Gibt es hier etwas Essbares? Ich habe Glück. Ein verschrumpeltes Äpfelchen mit schwarzen Flecken liegt in einer weißen Porzellanschale. Seine Stunde hat geschlagen. Beherzt beiße ich in das unscheinbare Früchtchen. Danach wende ich mich wiederum meinem Computer zu und vertiefe mich erneut in die Homepage der Kadetten.
    Hier folgt die Ehrenliste der Gesslerschützen. Für das laufende Jahr fehlt natürlich noch ein Name. Das Schießen findet ja erst am Dienstag, kurz vor dem Schlussumzug statt. Es geht dann darum, mit einer Armbrust den Habsburger aus der Tellgeschichte abzuschießen. Die Schützen nehmen das für gewöhnlich sehr ernst. Daneben sehen die Clanshooters von Counter-Strike blass aus. Gesslers Ebenbild prangt Jahr für Jahr auf einer handgemalten Zielscheibe, die ihn in aparten Pastelltönen hoch zu Ross zeigt. Eine Medaille markiert des Tyrannen Herz. Ein Werk des Grafikers Knud Jacobsen.

     
    *

     
    Es steht auf der Homepage etwas, das mich stutzig macht.
    Ich lese darum nochmals die Namen der Offiziere: Melanie Eichenberger? Ob es sich um die Tochter der Notarin handelt? Das Einfachste wäre, sie persönlich zu fragen. Aber vielleicht ist es geschickter, wenn ich stattdessen erneut Alfred Weibel anrufe. Er wird es vermutlich auch wissen. Ich wähle seine Nummer. Er lässt mich auch dieses Mal nicht im Stich.
    »Hallo, Fredu. Ich bin’s nochmals, Hans-Peter vom Progy .«
    »Hanspudi? Was gibt’s ?« , fragt Weibel.
    »Entschuldige mich. Ich bitte dich schon wieder um eine kleine Auskunft«, antworte ich.
    »Wenn ich dir helfen kann. Aber mach’s kurz. Die Sitzung geht gleich weiter. Worum geht’s ?«
    »Kannst du mir sagen, ob der diesjährige Kadettenhauptmann die Tochter von Frau Eichenberger ist ?«
    »Richtig. Das ist sie. Melanie Eichenberger. Warum fragst du ?«
    »Das erzähle ich dir später. Danke Fredu, du hast mir sehr geholfen. Und nichts für ungut wegen der Störung.«
    So, so. Also doch. Frau Eichenbeger bekleidet zurzeit das Amt der Präsidentin der Kadettenkommission. Natürlich hat sie keinen Einfluss auf die Ernennung des Kadettenhauptmanns. Aber könnte nicht der Eindruck entstehen, dass die Funktion ihrer Tochter das Ergebnis einer Gefälligkeitsbeförderung darstellte?
    Gerne würde ich darüber mehr erfahren. Alle, die mir dazu Auskunft geben könnten, nehmen in diesem Augenblick aber an der Sitzung des Kadettenvereins im Hotel Freienhof teil. Neben Alfred Weibel und einer Reihe weiterer Vorstandsmitglieder sitzen zweifellos auch Dolores Akert und Lilo Barben-Bigler am runden Tisch. Ob es Widerstand gegen die Ernennung von Melanie gab? Ob ihre Mutter anstandshalber in den Ausstand getreten ist, als Melanie zur Beförderung vorgeschlagen wurde? Ich werde die Vorstandsmitglieder mit diesen Fragen konfrontieren. In rund einer Stunde werde ich die ganze Bande im Schlosshof treffen und mir Gewissheit verschaffen. Hoffentlich.

10
    19.10 Uhr. Ich bin knapp dran.
    Vor dem Bildschirm meines Laptops habe ich die Zeit vergessen. Jetzt knattere ich so rasch als möglich auf meinem ferrariroten Mofa Richtung Innenstadt. Hätte ich doch Autofahren gelernt. Hätte ich, statt im Internet herumzusurfen, etwas gegessen! Das Äpfelchen hält nicht wirklich hin. Der leere Magen und die Konzentration der wilden Fahrt verursachen mir Übelkeit. Ein Hungerast , eindeutig. Und der Tag nimmt noch längst kein Ende. Ich stehe mit meinen Ermittlungen erst am Anfang. Hoffentlich steht im Schlosshof wenigstens ein kaltes Buffet
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