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Narrentod

Titel: Narrentod
Autoren: Gmeiner-Verlag
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zurück ist. Frau Murer wird entweder den bitteren Tee schlucken oder ein weiteres Geständnis ausspucken«, verspricht er.
    Der Stadtpräsident schaut erst den Hauptmann und dann mich fragend an. Ich beruhige ihn mit den Worten: »Rüfe, wart’s ab. Übrigens, was ich dich schon lange mal habe fragen wollen …«
    »Ja, bitte?«
    »Wozu hast du dich eigentlich am Montagabend im Schulhaus oben nach dem Fulehung erkundigt ?«
    Der Stapi wirkt überrascht und überlegt kurz.
    »Wann soll das gewesen sein ?«
    »Gestern, kurz vor 16 Uhr.«
    »Ach ja. Jetzt erinnere ich mich. Fragst du wegen der läppischen Geschichte meiner Kopfverletzung ?«
    »Wie meinst du das ?« , frage ich zurück.
    »Vermutest du etwa, dass ich mich bei Dummermuth persönlich beschweren wollte ?«
    »War es so ?«
    »Woher. Ich hatte einen ganz anderen Grund, ihn aufzusuchen. Die Stadt hat doch zwei neue Kopien der Originalmaske herstellen lassen. Ich hatte oben beim Regierungsstatthalter zu tun und wollte auf dem Rückweg ins Rathaus den Fulehung fragen, ob die neue Maske passe. Das ist alles .«
    »Und, was meinte er ?«
    »Nichts. Er war nicht im Haus. Als ich kurz darauf wieder auf den Schlossberg gerufen wurde, lag er bereits tot auf der Treppe. Warum fragst du, Hanspudi ?« , erkundigt sich Rüfe misstrauisch.
    »Unwichtig, Rüfe. Vergiss es«, lenke ich ab und bin froh, dass Hauptmann Geissbühler die drei bereitstehenden Champagnerkelche füllt und sein Glas erhebt. »Auf unsere erfolgreiche Zusammenarbeit«, prostet er.
    »Auf das Andenken an den unsterblichen Fulehung und all seine grandiosen Darsteller«, ruft der Stadtpräsident mit bewegter Stimme.
    Ich suche auch nach einem passenden Trinkspruch. Es fällt mir momentan aber nichts Originelles ein, und so stoße ich mit dem schlichten Ausruf »Auf Thun !« mit den beiden Kollegen an.
    In dem Moment läutet auf Geissbühlers Schreibtisch das Telefon. Er hebt den Hörer ab, hört kurz hin, legt wortlos wieder auf und meint mit todernster Mine: »Wir müssen sofort auf den Schlossberg. Margret Murer steht auf dem vierten Turm und droht, sich in die Tiefe zu stürzen .«

40
    Polizei und Feuerwehr sind noch nicht vor Ort, als der Stapi, Geissbühler und ich in den Schlosshof stürmen.
    Hoch oben im Turmfenster sitzt, in sich zusammengesunken, ein karminrotes Geschöpf wie ein verirrter Riesenvogel. Es handelt sich tatsächlich um Margret Murer. Wie ist sie dort hinaufgeraten? Hat sie ernsthaft vor, sich vom Top of Thun vor die Kanone in den Hof zu stürzen? Wozu? Warum plötzlich diese selbstkritische Inszenierung? Hat sie erfahren, dass Fabian Eichenberger inzwischen seinem Hirnschlag erlegen ist? Vermutlich schon. Müsste sie dieser Umstand aber nicht eher mit Genugtuung erfüllen? Endlich ist der verhasste Kerl tot. Sie hat damit ihr Ziel erreicht. Also. Wozu jetzt noch der Selbstmord? Will sie sich ihrer Verantwortung entziehen? Oder sieht sie sich ihrem Sohn gegenüber plötzlich in einem unlösbaren Erklärungsnotstand?
    Sie lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sie entschlossen ist, ihrem Leben ein abruptes Ende zu setzen. Der Schlosswart, der Hilfe alarmiert und den Hauptmann verständigt hat, steht im Schlosshof vor dem ausgemusterten Gefängnis, starrt gebannt zum weiß getünchten Turm hinauf und schreit ein ums andere Mal: »Tun Sie’s nicht Frau Murer! Tun Sie’s bitte nicht! Denken Sie an Stefan! Denken Sie an sich !«
    Aus einem Fenster des Geschworenengerichts, das den Innenhof auf der Südseite begrenzt, lehnt ein schwarz gewandeter Jurist und fuchtelt wild mit den Armen. Dazu beschwört er die suizidale Hostess mit dem lächerlichen Hinweis: »Sie, da oben. Das ist verboten !!«
    Frau Murer reagiert nicht. Es ist jetzt genau 12 Uhr mittags.
    Die Glocken der Stadtkirche beginnen zu dröhnen, als geleiteten sie die Stadthostess schon jetzt ins Grab. Diese hebt im selben Augenblick leicht den Kopf und starrt Richtung Kirchturm. Oder blickt sie weiter, zu den Alpen, nach dem Süden, in die Ferne?
    Im Schlosshof steht die chinesische Reisegruppe, für die Frau Murer heute einen Stadtrundgang hätte leiten sollen, noch immer ratlos um den Ziehbrunnen herum.
    Dann, ohne erkennbaren äußeren Anlass, rutscht die Hostess mit einem kaum merklichen Hüftschwung vom Fenstersims, stößt sich rücklings mit den Armen von der Mauer ab und saust ohne den geringsten Mucks in die Tiefe. Hinter ihr segelt das rote Uniformkäppi in schaukelnden Bewegungen der historischen
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