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Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Oper aussah, die Hand auf den Arm. »Außerdem habe ich heute meine Tage bekommen und mein Bauch bringt mich um. Oder meine Rückenschmerzen, ich weiß nicht wirklich, was schlimmer ist.« Panosch, Tochter einer burgenländischen Winzerfamilie aus Apetlon, war eine politische Quereinsteigerin. Vor zwei Jahren vom damaligen neu gewählten Bundeskanzler überraschend in sein Kabinett berufen, hatte die Unternehmerin und promovierte Ärztin ihre gut gehende Agentur in der burgenländischen Hauptstadt Eisenstadt aufgegeben und war als frischgebackene Ministerin für Wirtschaft, Familie und Jugend sofort Liebling der Presse gewesen. Jung, erfolgreich, gut aussehend und unverheiratet – eine berauschende Kombination für die Medien, die ihr in den ersten neunzig Tagen der neuen Regierung mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatten als dem gesamten übrigen Kabinett. Als sich herausgestellt hatte, dass es keine Affären, keine geheimen Freunde, keinen Skandal und keine ominösen Leichen im Keller ihrer Vergangenheit gab, war sie wieder aus den Schlagzeilen gerutscht und es war wieder still um sie geworden – was ihr nur recht war. Für Panosch war der Ministerposten eine persönliche Herausforderung, eine Aufgabe und kein Versorgungstrampolin, das sie mit neuem Schwung in eine Top-Position der Wirtschaft oder der Pharmaforschung katapultieren sollte. An Tagen wie heute sehnte sie sich nach Eisenstadt zurück, nach einem unkomplizierten Leben auf dem Land. Panosch kramte in ihrer Handtasche. »Kannst du mir einen Tampon geben, ich finde meine nicht«, flüsterte sie Palm zu.
    Die Sekretärin nickte und griff in ihre große Umhängetasche.
    »Hier, meine eiserne Reserve.« Palm drückte der Ministerin diskret eine kleine Hülse in die Hand.
    Panosch nickte dankbar und ging rasch zurück ins Theater. Als sie an den beiden Leibwächterinnen vorbeikam, schickte sie die jungen Polizistinnen in Zivil mit einer Handbewegung und einem entschuldigenden Lächeln nach Hause. »Bis morgen früh. Ich weiß, es ist nicht mehr lang bis dahin … Trotzdem gute Nacht!«
    Auf den leeren Gängen hallten ihre Schritte hart und laut, von fern drangen Lachen und Lärm aus Richtung Bühne. Wahrscheinlich feiern die Puppenspieler, dachte Panosch und stieß die Tür zur Damentoilette auf. Der Raum war hell erleuchtet, aber verlassen, die Türen zu den einzelnen Abteilen standen offen. Die Ministerin betrachtete ihr Spiegelbild in dem großen Spiegel über den Waschbecken, während sie ihre Handgelenke unter den kühlen Wasserstrahl hielt. »Du siehst furchtbar aus, Claudia«, sagte sie zu sich selbst und zog sich in die nächste der Kabinen zurück. Der weiß gekachelte Boden war mit abgerissenen Toilettenpapierblättern übersät wie ein herbstlicher Spazierweg. Es stank nach Urin, und als Panosch einen Blick in die Toilettenschüssel warf, wurde ihr fast übel. Sie klappte den Deckel herunter und setzte sich darauf, stützte den Kopf in ihre Hände und war versucht loszuheulen. Die Schmerzen in ihrem Bauch fraßen sich immer tiefer in ihr Bewusstsein. Endlich, nach ein paar Minuten, riss sie die unbedruckte Zellophanhülle des Tampons auf. Sie zog sich gerade wieder an, als sie Schritte im Vorraum hörte.
    »Claudia? Geht’s dir gut?« Wilma Palm war ihr nachgegangen und stand nun wartend vor der einzigen geschlossenen Türe.
    »Ja, alles in Ordnung.« Die Ministerin öffnete die Tür »Ich bin schon wieder okay. Lass uns endlich schlafen gehen.«
    Kurz darauf spazierten die beiden Frauen in die warme Nacht. Schloss Schönbrunn war hell erleuchtet, strahlte in einem intensiven Gelb wie auf einer Postkartenansicht. Zwei Wagen mit Regierungskennzeichen warteten mit laufendem Motor auf Panosch und Palm, die Lichter des Schlosses spiegelten sich im hochglanzpolierten Lack.
    »Vergiss morgen nicht die Sitzung um halb zehn mit der Justizministerin. Du hast die Unterlagen auf deinem Schreibtisch«, erinnerte Panosch ihre Sekretärin und bedankte sich mit einem Nicken bei ihrem Chauffeur, der ihr den Wagenschlag aufhielt.
    »Hab schon alles vorbereitet«, erwiderte Palm und warf noch einen nachdenklichen Blick in die Runde, auf die Alleen mit den perfekt beschnittenen Bäumen, die man schemenhaft am Rande des Lichtermeeres wahrnehmen konnte. »Wenn ich morgen wieder meinen Wagen habe, dann kann ich länger schlafen und bin trotzdem pünktlich im Büro.« Palm dachte an den seltsamen Vorfall mit dem Baum heute auf der Ringstraße. Einige Gruppen von Touristen
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