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Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Titel: Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
Autoren: William R. Forstchen
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Kapitel 1
     
    2. Januar 1865
    City Point, Virginia (wichtiges Nachschub- und Transportzentrum für die Nordstaaten-Armee, die Petersburg und Richmond belagert)
     
    Das Donnern der Geschütze rollte über den sturmgepeitschten Nachthimmel. Andrew Lawrence Keane drehte sich im Sattel um und blickte zurück, als wären die fernen Blitze Sirenengesang, der ihm zuflüsterte, er möge doch in den Feuerkessel zurückkehren.
    »Nicht mehr unser Kampf, Colonel.«
    »Ein seltsames Gefühl, ihn zurückzulassen, Hans«, sagte Andrew leise, und während er sprach, blickte er weiter zurück und erlebte, wie detonierende Geschosse die Silhouette von Petersburg hervorhoben.
    »Seltsam, ihn zurückzulassen, ja? Ich bin verdammt froh, jawohl!«, schimpfte Hans. »Wir haben die letzten sechs Monate vor dieser verdammten Rebellenstadt in den Gräben gelegen. Es wird schön sein, sich mal wieder eine Zeit lang die Beine zu vertreten und etwas anderes zu sehen, auch wenn das bedeutet, dass wir eines dieser verdammten Schiffe nehmen müssen.«
    Hans zog einen Priem Tabak hervor, biss ein Stück ab und bot auch seinem Colonel davon an.
    Andrew lächelte und lehnte mit einem Wink ab. Seit zwei Jahren bot ihm Hans immer wieder Kautabak an, und seit zwei Jahren lehnte er ständig ab. Andrew wandte sich vom Geschützfeuer ab und blickte hinunter zu seinem Sergeant Major. Dessen Gesicht war dunkel wie verwittertes Segeltuch, voller Sorgenfurchen und schmal und von einem Bart eingerahmt, durch den sich graue Strähnen zogen. Die Furchen über den Augen waren von den Jahren in der Prärie tief eingeschnitten, von den Blicken über ihre sengende Hitze und ihre verschneite Unendlichkeit. Die Narbe, die ein Comanchenpfeil an der Wange hinterlassen hatte, kündete von einundzwanzig Dienstjahren in der Armee. Es war nicht die einzige Narbe, und während der Sergeant weiter neben Andrew herging, hinkte er leicht, das Geschenk eines Scharfschützen der Rebellen vor Cold Harbor.
    Wie er da auf seinen Freund hinunterblickte, erinnerte sich Andrew an das erste Angebot von Kautabak damals, und ein Lächeln hellte seine Miene auf, obwohl ihm die Erinnerung immer noch peinlich war.
    Antietam war ihre erste gemeinsame Schlacht. Er selbst war damals noch ein verängstigter Grünschnabel von Leutnant gewesen und Sergeant Major Hans Schuder der einzige Veteran innerhalb des frisch aufgestellten 35. Maine-Regiments. Mit den fünftausend Mann des ersten Armeekorps waren sie über das vierzig Morgen große Weizenfeld marschiert und hatten die reifen Stängel an diesem Septembermorgen des Jahres ’62 niedergetrampelt. Danach brauchte jemand nur vom »Weizenfeld« zu sprechen, und jeder Veteran der Nord- und Südstaaten wusste, wovon die Rede war. Indem das Korps jenes Feld überquerte, trat es durch das Tor der Hölle.
    Die Rebellen griffen von drei Seiten an. In einem Augenblick war noch alles still; Andrew erinnerte sich sogar noch an die Schreie der erschrockenen Vögel über ihnen, als die Soldaten das Feld hinter sich ließen und in den angrenzenden Wald hineintrampelten. Innerhalb eines Augenblicks fegten Feuer und Rauch die Morgenstille weg, und das Gebrüll von zehntausend Rebellen brandete über das Korps hinweg.
    Andrew erstarrte damals vor Schreck, während ihm der Kompaniehauptmann Befehle zuschrie. Einen Augenblick später lag der Captain mit ausgebreiteten Gliedern am Boden und starrte mit leeren Augen zu Andrew hinauf, und eine Pfütze aus Blut und Hirn breitete sich unter ihm aus.
    Andrew konnte an nichts anderes denken, als hinter dem nächsten Baum Deckung zu suchen, damit die nächste Kugel ihn nicht ebenso leicht erwischte. Verdammt, schrie ihm der entsetzte Verstand zu, du bist Professor für Geschichte! Was zum Teufel tust du eigentlich hier?
    Und dann flüsterte ihm diese leise, raue Stimme zu:
    »Junge, möchten Sie was kauen?«
    Der alte Hans stand neben ihm und bot ihm einen Priem an. Er reichte Andrew kaum bis an die Schulter, und seine einsfünfundsechzig Gestalt bildete einen deutlichen Kontrast zu Andrews schmalen, fast zerbrechlichen einsneunzig. Heute erinnerte sich Andrew an Hans eher als einen Riesen, der hoch über ihm aufragte und ihn mit kalten grauen Augen anstarrte.
    »Lieutenant, das Regiment wurde zur Hölle geschossen und zieht sich zurück. Ich denke, Sie helfen lieber dabei, die Jungs hier rauszuführen.« Hans redete, als hülfe er einem Jungen auf die Sprünge, der sich von den Regeln eines seltsamen neuen Spiels
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