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Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl

Titel: Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
Autoren: William R. Forstchen
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dahinschwand.
    Und dann drehte er sich um und blickte zurück, aber er war nur noch ein Skelett, und, barmherziger Gott, es war ein Skelett, das immer noch Augen hatte!
    »Andrew, ich möchte nach Hause!«, brüllte der fleischlose Schädel. Und er kippte herunter, und die Knochen fielen auseinander und vermischten sich mit den Tausenden aufgedunsener Leichen, die sich jetzt wie ein Mann umwandten und Andrew aus zehntausend Augen anstarrten.
    »Johnnie!«
    »Es ist okay, es ist okay.«
    »Johnnie, um Gottes willen, Johnnie!« Andrew fuhr kerzengerade hoch, und die Kabine nahm wieder Gestalt vor ihm an.
    »John«, flüsterte er, während sanfte Hände nach ihm griffen und ihn wiegten.
    »Ist schon in Ordnung, Colonel.«
    Colonel! Jemand war bei ihm, eine Frau. Augenblicklich spürte er, wie die stramme Selbstbeherrschung zurückkehrte, und er stand auf, blickte dabei starr geradeaus, und die Arme wichen von ihm.
    »Es war nur ein schlechter Traum, mehr nicht«, flüsterte sie.
    Er drehte sich um und blickte auf sie hinunter. Ihre Augen, dunkelgrüne Augen, hingen an ihm. Sie schien in seinem Alter zu sein, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, hatte blasse Haut und hohe Wangenknochen. Die Haare hatte sie unter der Haube einer Krankenschwester von der Sanitätskommission hochgesteckt, aber ein dünner Strang hing über die Stirn und verriet eine hübsche, rötlich-blonde Haarfarbe.
    Sie stand neben ihm auf und ragte ihm kaum bis an die Schulter.
    »Ich bin an Deck spazieren gegangen und habe jemanden hier drin gehört, also bin ich hereingekommen und habe Sie vorgefunden«, sagte sie, und es klang, als wollte sie sich entschuldigen.
    »Es war nichts«, sagte Andrew mit leiser, ferner Stimme.
    »Natürlich.« Sie tätschelte ihm freundlich die Hand.
    »Es braucht Ihnen nicht peinlich zu sein, Colonel. Ich bin seit Ausbruch des Krieges Krankenschwester. Ich verstehe Sie.«
    Einen Augenblick lang herrschte verlegene Stille.
    Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass die Kabine leer war, abgesehen von ihnen beiden.
    »Wo sind alle?«
    »Oh, die Veranstaltung hier drin ist schon vor mehreren Stunden zu Ende gegangen. Ich habe gehört, wie Ihr Arzt alle anwies, Sie in Ruhe zu lassen, denn Sie brauchten Ihren Schlaf. Es ist nur noch eine Stunde bis zum ersten Licht des Morgens.«
    Andrew rieb sich den Schlaf aus den Augen und zupfte mit der rechten Hand die Jacke zurecht, versuchte so, einige der Falten zu glätten.
    »Ich gehe lieber an die Arbeit«, sagte Andrew steif. »Ich hätte mich nicht schlafen legen sollen, ohne zuerst nach meinen Männern zu sehen. Jetzt ist ohnehin Zeit für den Morgenappell.«
    »Lassen Sie die Männer ruhig ein wenig länger schlafen, Colonel Keane. Es ist die erste Nacht seit Monaten, die sie nicht im Schützengraben verbringen.«
    Andrew sah sie erneut an und lächelte. Sie hatte recht sachte gesprochen, aber nicht ohne einen leisen Unterton von Autorität.
    Er wollte schon etwas erwidern, da entwaffnete ihn ihr Lächeln vollständig.
    »Dann für Sie, Miss …«
    »Kathleen O’Reilly.« Und sie reichte ihm die Hand. »Ich weiß schon, dass ich die Ehre habe, mit Colonel Andrew Keane vom 35. zu sprechen.«
    Andrew, der sich ziemlich hilflos fühlte, ergriff verlegen ihre Hand und ließ sie rasch wieder los.
    »Nun, nachdem wir einander vorgestellt haben«, fuhr sie fort, »sollen wir da nicht einen Spaziergang an Deck unternehmen? Ich weiß sehr wohl: wäre meine alte Oberschwester hier, hielte sie es nicht für schicklich, dass wir uns ohne Anstandsbegleitung im selben Raum aufhalten.«
    »Ich denke, Miss O’Reilly, dass Sie wirklich sehr gut auf sich selbst Achtgeben können.«
    »Das kann ich ganz gewiss, Colonel.« Und ihm fiel eine Spur Schärfe in ihrem Ton auf.
    Andrew nahm seinen Poncho zur Hand, half Kathleen mit ihrem Umhang und führte sie aufs Hauptdeck. Der Himmel war dunkel und bedrohlich, und immer wieder wehte mal Regen, mal Schneegestöber übers Deck. Andrew atmete tief ein, und die kalte Luft sorgte für einen freien Kopf.
    »Im Grunde ist das recht hübsch«, sagte er sanft. »Erinnert mich an Zuhause, an Brunswick in Maine.«
    Sie schwieg, lehnte sich über die Reling und sah sich an, wie der dunkle Rand des Flussufers vorbeiglitt.
    »Und woher stammen Sie, Miss O’Reilly?«
    »Boston. Ich kann mich noch an eine solche Nacht erinnern – ich ging von der Kirche nach Hause …« Mit Jason, setzte sie für sich in Gedanken hinzu.
    Andrew war auf einmal neugierig und lehnte sich
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