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Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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weiten Heimweg nach Burg Grub machen sollte.« Sina lebte seit mehr als vier Jahren auf einer Burgruine im niederösterreichischen Waldviertel, gemeinsam mit seinem tibetanischen Hirtenhund Tschak auf dem alten Sofa und seinem Haflinger im wiederaufgebauten Stall.
    »Weise Entscheidung«, murmelte Paul, aber nach einem Blick auf den Erhängten war er sich nicht mehr so sicher.
    »Ich kam also zurück in den Ort, aber dann war die Straße mit einem Reisebus versperrt, der auf seine angeheiterten Passagiere wartete. Ich ließ den Golf stehen und ging zu Fuß.«
    »Wie viel Zeit verging zwischen der Abfahrt und deiner Rückkehr?«, fragte Paul.
    »Etwa fünfundzwanzig Minuten, aber so richtig klar im Kopf bin ich nach vier Viertel Wein auch nicht mehr«, meinte Georg entschuldigend und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
    »Du schaust mir im Moment eher sehr nüchtern aus«, gab Paul zurück und griff zu seinem Telefon. »Hast du schon …?«
    Sina schüttelte den Kopf. »Ich hatte den ganzen Abend lang das Gefühl, dass mir Professor Kirschner etwas sagen wollte. Aber ich habe keine Ahnung, was genau.«
    Paul blickte seinen Freund abwartend an und dann wanderten seine Augen zu der Leiche mit ihrem offenen blutigen Mund.
    Sina schien Wagners Gedanken zu erraten.
    »Ich glaube, sie haben ihm die Zunge herausgeschnitten und dann wieder in den Mund gesteckt. Ein altes Zeichen …« Er verstummte kurz, dann klang seine Stimme fest und entschlossen. »Ich möchte erst nochmals kurz ins Haus und nachschauen, ob wir etwas finden, bevor wir die Polizei alarmieren.«
    »Dann sollten wir besser schnell machen«, sagte Paul leise, steckte das Handy wieder ein und warf einen letzten Blick auf den Erhängten. »Es müssen mehrere gewesen sein, einer allein bringt einen so schweren Mann nie in so kurzer Zeit so hoch auf den Baum, ohne Spuren zu hinterlassen.«
    Im Haus gab es keine Zeichen eines Kampfes. Die Gläser und die Flasche auf dem Tisch standen da, wo Sina sie zurückgelassen hatte. Kleine Weinfliegen saßen auf den Rändern der Gläser, einige hatten sich im Rest des Rotweins ertränkt. Musik und Lachen drangen durch das offene Fenster, während sich Wagner und Sina in dem Wohnraum umschauten. Nichts schien durchsucht worden zu sein. Auch ein Blick in das kleine Schlafzimmer mit einem einzigen Bauernschrank, in dem die Kleidung akkurat aufgereiht hing, verriet nichts Ungewöhnliches. Das Bett war gemacht, die Überdecke glatt gezogen. Die Schubladen der Biedermeier-Kommode enthielten Besteck, Teller und einige Servietten, Tischwäsche, Geschirrtücher, darunter ein altes Fotoalbum und einen Reisepass. Daneben lag eine Brieftasche, die überraschend viel Geld enthielt. Nichts deutete auf einen Raubmord hin oder auf einen Überfall. Die Täter hatten nichts gesucht. Sie waren gekommen, um zu töten, und das schnell, effizient und ohne Aufsehen.
    Wagner zuckte die Schultern. »Tut mir leid, aber ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken.« Georg Sina ging nachdenklich um den Tisch herum, trat dann ans Fenster und drehte sich schließlich um.
    Die beiden Gläser, die große Flasche, ein kleiner Bleistift. Er stutzte. Ein Bleistift? Der hatte vorher nicht dagelegen, zumindest nicht, als er Professor Kirschner verlassen hatte. Paul beobachtete Georg und beugte sich dann zu dem kleinen, mit Kerben übersäten Stummel, der nach langem Spitzen von einem ehemals großen Bleistift übrig geblieben war. Jetzt war er keine fünf Zentimeter lang, ein Stift, den man bequem in der Hosentasche tragen konnte.
    »Wahrscheinlich korrigierte er damit schon deine Arbeiten«, meinte Paul trocken, während Georg die große Weinflasche in die Hand genommen hatte und sie langsam drehte, näher ans Licht hielt. An der rechten Seite des Etiketts war ein Kreuz gezeichnet, mit Bleistift schnell skizziert. Es hatte einen großen Querbalken und darüber einen kleineren.
    »Vielleicht hat das etwas zu bedeuten«, sagte Georg leise und zeigte das Etikett seinem Freund.
    »Ein Kreuz mit zwei Querbalken, hm, ein Erzbischofs- oder Patriarchenkreuz. Ich wüsste nicht, was das auf der Weinflasche zu suchen hätte. Also hat es dein Professor gezeichnet, aber wozu? Hat er es gedankenverloren gekritzelt, als er mit dir gesprochen hat?«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern, bei Professor Kirschner einen Bleistift gesehen zu haben. Weder in seiner Hand noch auf dem Tisch.« Georg dachte kurz nochmals nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, bestimmt
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