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Der Spitzenkandidat - Roman

Der Spitzenkandidat - Roman

Titel: Der Spitzenkandidat - Roman
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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    Während der Wahlkampf in Thüringen bis zur Auszählung der Stimmen am Wahlabend spannend bleibt, scheinen die Landtagswahlen nach aktuellen Umfragen in Niedersachsen entschieden zu sein. Zu groß ist der Vorsprung, den der Spitzenkandidat der Bürgerpartei, Uwe Stein, für seine Partei herausgeholt hat. Der Politiker, der als unverbraucht und unabhängig gilt, genießt in der Bevölkerung hohes Ansehen. Offen ist allenfalls noch die Frage, ob es Stein gelingen wird, die absolute Mehrheit an Stimmen und Sitzen für seine Partei zu erreichen. Dies hätte eine Machtverschiebung im Bundesrat zur Folge. Noch vor einem Jahr sah es für die Bürgerpartei nicht gut aus. Der seit geraumer Zeit kränkelnde Ministerpräsident, der Anfang des Jahres seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hat, wirkte zuletzt ebenso amtsmüde wie sein angeschlagenes Kabinett. Stein war es auf dem letzten Parteitag mit einer mitreißenden Rede gelungen, den langjährigen Parteivorsitzenden Alfred Bitter als Spitzenkandidat zu verdrängen. Seither hat die Partei in Niedersachsen an Profil gewonnen. Anders als der konservativ geprägte Bitter steht Stein für eine weltoffene, liberale Politik. So tritt er ganz im Gegensatz zu Bitter für ein modernes Zuwanderungsgesetz und eine moderne Familienpolitik ein. Der smarte Politiker hat als Quereinsteiger frischen Wind in die in Niedersachsen seit neun Jahren regierende Partei gebracht. Ihm ist es gelungen, neue Wählerschichten unter den berufstätigen Frauen und in den Großstädten anzusprechen. Sein Hundert-Tage-Programm sieht einen umfassenden Modernisierungskurs vor. Neben Innovationen in Wirtschaft und Verwaltung liegt dem angehenden Regierungschef insbesondere die Bildung am Herzen. Der vierzigjährige Anwalt ist verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter
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    Weltjournal, 24. August 2011
29. A UGUST 2011
    Schon zwanzig Minuten vor neun und der Chef war immer noch nicht da. Bernd Wagner wurde unruhig. Stein war eigentlich nie unpünktlich und wenn doch, hatte er ihn stets angerufen und eine plausible Erklärung parat.
    Auf dem runden Tisch war für zehn Personen gedeckt. Von den sieben Journalisten, die ihre Teilnahme am Frühstück mit Hintergrundgespräch fest zugesagt hatten, waren nur vier erschienen. Schlecht für Stein, noch schlechter für ihn. Stein würde ihn dafür verantwortlich machen, dass nicht mehr Journalisten gekommen waren.
    Die anwesenden Journalisten wirkten lustlos und unausgeschlafen. Zwei schwiegen, zwei redeten über die Hitze und die Baggerseen der Umgebung, die nicht überlaufen waren. Einer gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. Für politische Redakteure war es zwei Stunden zu früh. Da half es auch nichts, dass sie in eins der besten Vier-Sterne-Hotels der niedersächsischen Landeshauptstadt gebeten worden waren. Wagner hatte für elf Uhr plädiert, aber der Chef hatte so getan, als könnte sich die fünfte Macht unabhängig von der Uhrzeit glücklich schätzen, seiner gottgleichen Gegenwart teilhaftig zu werden.
    „Wo bleibt er denn? Halb neun war ausgemacht.“
    Bianca Fröhlich strahlte von dem müden Haufen noch die meiste Vitalität aus. Die Nachfolgerin von Hollmann, Wagners Spezi aus seinen Zeiten als Regierungssprecher, und Mitarbeiterin der Politik-Redaktion der Allgemeinen Niedersachsenzeitung war scharfzüngig und intelligent. Sie biss sich allerdings gern an Themen fest, die sie dann nicht mehr losließ, und nervte damit ihr Umfeld, ganz besonders Wagner. Fachlich hatte das Blatt mit ihrer Beförderung keinen Fehler gemacht. Für Wagner, der regelmäßig mit ihr zu tun hatte, war sie nicht die optimale Wahl. Man konnte mit ihr keinen Small Talk führen. Kleine Lästereien, erfrischend sinnlos und von gediegener Boshaftigkeit wie mit Hollmann, waren mit ihr nicht möglich. Und nächtliche Sausen erst recht nicht.
    Für einen Moment schweiften Wagners Gedanken ab. Sein Freund Hollmann saß jetzt vermutlich in einem der vielen Strandcafés in Marbella und ließ es sich gut gehen. Seit er in Andalusien wohnte, beglückte er Wagner regelmäßig mit bunten Ansichtskarten.
    „Er wird gleich kommen“, antwortete er. „Bedienen Sie sich doch schon am Büfett. Wird ja nicht frischer bei diesem Wetter.“
    „Ich will nicht frühstücken. Das hätte ich auch zu Hause haben können. Ich will Infos, nicht mir den Wanst vollschlagen.“
    Radio RFN hatte seinen politischen Redakteur geschickt. Nach Wagners Meinung ein Stinkstiefel, ein
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