Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
fragte Wolle scheinheilig und begann in seinem Rucksack zu kramen. Marzin drehte sich frustriert um. Dabei hielt er die Kerze noch immer hoch und sah für einen Moment aus wie eine Kopie der amerikanischen Freiheitsstatue. Er wollte etwas erwidern, als Wolle aufsprang und ihn unterbrach.
    »Beweg dich nicht!«, rief er. Wollner deutete auf die Flamme der Kerze, die, mehr als einen Meter von der Tür entfernt, aber nur wenige Zentimeter vor den Mauerziegeln, wie in einem steten Luftzug auf und nieder flackerte. Er nahm den Schraubenzieher und klopfte mit dem Holzgriff nacheinander auf die Ziegel in Reichweite der Flamme. Nach hellen Lauten ertönte plötzlich ein tiefer. Die beiden Männer sahen sich an und schauten dann genauer auf den Ziegel, der so ganz anders geklungen hatte. Er unterschied sich in nichts von seinen Nachbarn, weder in der Größe noch in der Farbe oder der Form. Er fügte sich perfekt in das Bild einer verwitterten Ziegelmauer ein, und doch … ein kleines Loch im Mörtel zwischen den Ziegeln war sichtbar. Marzin nahm die Spitze des Schraubenziehers und kratzte erst nahe dem Loch, dann über die Oberfläche. Ein silbrig glänzender Strich blieb zurück.
    »Perfekter Tarnanstrich«, flüsterte Wolle anerkennend, »noch besser als bei der Türe selbst. Da wollte wirklich jemand etwas geheim halten.«
    Der bemalte Metalldeckel kam nur schwer aus seiner Verankerung zwischen den Ziegeln. Die quadratische Öffnung, die er endlich freigab, war von Spinnweben durchzogen. Fritz Wollner leuchtete hinein. Ein rostiger, flacher Metallgriff schien frei zu schweben. Dann entdeckte Marzin das dicke Kabel, an dem er befestigt war und das durch ein Loch nach rechts in Richtung Türe in der Wand verschwand.
    »Sesam, öffne dich«, murmelte Peter Marzin aufgeregt, fasste den Griff und zog daran. Nichts passierte. Der Griff rührte sich keinen Millimeter.
    Wolle hatte die Luft angehalten und stieß sie nun laut pfeifend wieder aus. »Sesam denkt nicht daran«, bemerkte er trocken und sah sich den Griff näher an. Dann verschwand seine Hand in dem großen Rucksack und tauchte mit einer Dose Rostlöser wieder auf. »Mach Platz für die Technik«, meinte der kleine Mann, schob seinen jüngeren Begleiter zur Seite und sprühte die Flüssigkeit großzügig in das Loch, in dem das dicke Kabel in der Mauer verschwand. Ein intensiver Geruch von Chemie machte sich in dem kleinen Keller breit und überdeckte für kurze Zeit den Gestank nach Fäulnis.
    »Eine Minute einwirken lassen und dann kannst du deine Kräfte nochmals mit Sesam messen«, schmunzelte Wollner. »Wollen wir doch mal sehen, ob dein Training in der Kraftkammer nur Schau für die holde Weiblichkeit war oder …« Wolle brach ab, als Marzin ihm einen spielerischen Schlag gegen die Brust gab.
    »Dir hätte ein wenig Gewichtheben auch nicht schlecht getan, bei deinem Schreibtischjob als Steuereintreiber der Mächtigen«, stichelte Marzin, der seit Jahren zu den bekanntesten Steuerberatern Berlins zählte und es als eine besondere Ironie ansah, dass ein altgedienter Steuerbeamter und ein prominenter Steuerberater Schulter an Schulter durch den Untergrund der Hauptstadt zogen.
    Wolle grinste und antwortete nicht, sondern zog erneut etwas aus seinem Rucksack. Ein starkes Seil kam zum Vorschein, das er Marzin in die Hand drückte. Er wies auf einen stabilen, rostbraunen Haken in der Decke. »Den solltest du Bohnenstange erreichen können … Mach das Seil dran fest und dann haben wir zumindest eine kleine Hebelwirkung.«
    »Du hast wieder einmal alles dabei, oder? Gaskocher, eiserne Ration, Isomatte, jede Menge Chemie, wahrscheinlich auch noch ein kleines Schlauchboot mit Außenbordmotor?« Marzin streckte sich, legte das Seil um den Haken, dann zog er das freie Ende durch den Griff und wickelte es sich um den Arm. »Dann wollen wir mal schauen, was Sesam dazu meint.«
    Er stützte sich mit den Füßen an der Mauer ab und begann zu ziehen. Erst geschah gar nichts. Das Seil spannte sich und Wolle warf einen misstrauischen Blick auf den Haken in der Decke, der leise knackte. Aber er hielt dem Zug stand. Dann erfüllte plötzlich ein Knirschen den Raum, der Griff bewegte sich und mit einem lauten metallischen Geräusch wurde die Tür entriegelt. Sie öffnete sich einige Zentimeter nach innen und blieb dann in dieser Stellung. Die Kerzen begannen zu flackern und der überwältigende Gestank nach Verwesung, der beiden Männern eine Gänsehaut über den Rücken jagte, war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher