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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: R Parker
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Prolog
    Es war ein Mittwoch mit mattblauem Himmel, als Aaron Newman Zeuge des Mordes wurde. Er joggte vom Fitnesscenter an den Bahngleisen entlang nach Hause. Sein Bizeps war prall von fünfundvierzig Curls, sein Brustmuskel gebläht von fünfundvierzig Wiederholungen beim Bankdrücken, sein großer Rückenmuskel straff von fünfundvierzig Wiederholungen an der Zugmaschine. Seine Beine fühlten sich locker und leicht an, der Schweiß schien beim Laufen sämtliche Gelenke zu schmieren. Sein Atem ging ruhig, in den Schenkeln war noch Spannkraft. Dort, wo die Straße in einer Kurve nah an die Gleise heranreichte, stand ein großer, hagerer Mann mit glatt zurückgekämmtem schwarzem Haar und schoss einer knienden Frau drei Kugeln in den Kopf. Der Revolver war kurz und grau, und nach dem dritten Schuss schob ihn der Mann unter seine Jacke, stieg in einen blauen Lincoln mit orangefarbenem Vinyldach und fuhr davon.
    Im Wald war es still. Eine Grille zirpte, ein Vogel, den Newman nicht erkannte, krächzte. Er blieb stehen und sah zu der Frau hinüber. Einzelheiten waren aus dieser Entfernung nicht zu erkennen, aber der Hinterkopf war voller Blut und sie lag mit angezogenen Knien regungslos auf der Seite. Sie sah aus wie ein kleines, auf der Fahrbahn überrolltes Tier. Newman hielt sie für tot.
    „Oh mein Gott“, sagte er.
    Langsam ging er auf sie zu. Dabei kniff er die Augen zusammen, schuf sich bewusst eine Unschärfezone, um den Brei aus Hirn und Blut nicht sehen zu müssen. Eine Krähe stieß von links herunter und landete mit rauschenden Schwingen neben der Frau. Newman zuckte bei dem unerwarteten Anblick des lebendigen, schwarzen Etwas zusammen. Der Vogel pickte an der schwammigen Masse des Frauenkopfes herum und Newman sah weg.
    „Oh mein Gott“, flüsterte er, griff nach einem Kiefernzapfen und warf ihn nach der Krähe. Sie flog auf und verzog sich in einen Baum.
    „Aus und vorbei“, sagte Newman.
    Er stand jetzt direkt über der Frau und schaute sie mit zusammengekniffenen Augen von der Seite an. Er mochte sie nicht anfassen. Wenn sie nun noch lebte, während ihr das Hirn aus dem Hinterkopf quoll? Sobald sie sich regte, würde er wahrscheinlich die Flucht ergreifen. Helfen konnte er ihr doch nicht. Am besten lief er schnell zu den Cops. Eine knappe Meile noch. Nicht schlimm. Am Freitag war er dreizehn gelaufen, heute schon neun.
    ‚Ist sie tot?‘, würden sie fragen.
    ‚Weiß ich nicht, ich hab’ mich nicht getraut sie anzufassen‘, würde er sagen.
    Und die Cops würden einen stummen Blick wechseln.Nein, das wäre zu peinlich. Er würde sie doch anfassen müssen. Er kniete sich hin, griff mit fast geschlossenen Augen nach ihrem Hals, tastete nach der Halsschlagader. An derselben Stelle, wo er nach dem Joggen seinen Pulsschlag zählte. Kein Puls. Er zwang sich, fast eine Minute zu fühlen. Nichts. Als er die Hand wegnahm, spürte er etwas Warmes, Nasses, zuckte zusammen und wischte, ohne hinzusehen, mit der Hand über den Boden. Er erhob sich. Der Wald bestand hier fast ausschließlich aus Kiefern und die Sonne, die durch die Zweige fiel, zeichnete unregelmäßige Tupfenmuster auf die weiße Hose der Frau. Ein Schuh fehlte. Ihre Zehennägel waren rötlichbraun lackiert.
    Newman drehte sich um und joggte weiter an den Gleisen entlang. Beim Laufen spürte er Panik in sich aufsteigen und legte Tempo zu, um schneller bei der Polizei zu sein.

1
    Sie lag noch da, als er mit zwei Cops hinfuhr. Die Krähen hatten sich über sie hergemacht. Als der Streifenwagen neben den Gleisen hielt, flatterten drei auf und schwangen sich auf einen Baum.
    Für die beiden Cops war es das erste Mordopfer, das sie zu sehen bekamen. Sie hatten übel zugerichtete Leichen bei Verkehrsunfällen gesehen und Leute, die nach einem Herzinfakt auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben waren und einmal hatten sie die Überreste eines alten Mannes wegbringen müssen, der drei Wochen zuvor gestorben war. Aber einen Mord hatten sie noch nie erlebt und es machte ihnen ein bisschen Angst.
    Der Ältere hieß Ed Diamond, er war nach vier Jahren High School und drei Jahren Army seit sechseinhalb Jahren bei der Polizei. Demnächst wurde er achtundzwanzig.
    „Schau sie dir mal an, Jim“, sagte er.
    Jimmy Tinkham war sechsundzwanzig. High School, College, Schwerpunkt Strafrecht, dann der Posten bei der Polizei von Smithfield. Er war blond, hatte rosige Wangen und rasierte sich dreimal in der Woche.
    Als er sich neben der Toten hinkniete, ragte der
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