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Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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hatte.
    »Wären die Pullen voll, wärst du tagelang betrunken und zu nichts zu gebrauchen, aber besonders hilfreich bist du ja jetzt auch nicht«, stichelte Marzin und schaute sich im Licht seiner Helmlampe um. Hunderte von Flaschen aller Formen und Größen lagen da, viele von Schichten von Schmutz und Moder bedeckt, andere überraschend sauber, daneben ein paar leere Patronenhülsen und ein Korkenzieher, der bereits am Boden festgerostet war. Der feine Staub des Mörtels, den sie mit den Steinen herausgebrochen hatten, um in den Keller einsteigen zu können, hatte in der unbeweglichen Luft viele Flaschen wie mit feinem Puderzucker bestäubt.
    »Werd erst mal trocken hinter den Ohren, bevor du mit Erwachsenen sprichst, und wasch dich, das riecht ja grausam«, feixte Wollner und schob das Regal zur Seite, das vor der Stahltür lehnte. Es gab mit einem kratzenden Geräusch nach und brach dann in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.
    Der kleine Mann schüttelte den Kopf und Marzin lachte laut auf. »Immer müssen bei dir die wertvollsten Stücke dran glauben! Rühr einfach nichts mehr an«, rief er immer noch lachend und wandte dann seine Aufmerksamkeit der Türe zu, die, mit kreuzförmigen Metallbändern verstärkt, dem Sturm der Zeit getrotzt hatte. Sie schloss fast nahtlos mit dem Mauerwerk ab, es gab keinen sichtbaren Türstock.
    Wolle trat neben ihn und kratzte mit dem Fingernagel über die Oberfläche. Kleine Farbstückchen rieselten wie dunkle Schneeflocken die Tür entlang zu Boden.
    »Das ist der Rest eines Tarnanstrichs. Ich wette, vor sechzig Jahren hätten die russischen Truppen ganz genau hinschauen müssen, um den Eingang zu entdecken. Dann wären sie allerdings vor demselben Problem gestanden wie wir nun. Wo bitte ist das Schloss?«
    Marzin war es noch gar nicht aufgefallen, aber ein Blick sagte ihm, dass Wolle recht hatte. Es gab weder Schloss noch Riegel, kein Schlüsselloch oder Scharnier. Die Türe, so es denn eine war, hätte auch eine einfache Metallplatte sein können.
    »Hm, eigenartig, so etwas hab ich noch nie gesehen«, murmelte er und fuhr mit seinen Fingern an der Außenkante entlang, da, wo Metall und Mauer aneinanderstießen. Die Fuge war kaum breiter als fünf Millimeter und wie mit dem Lineal gezogen. Dann klopfte er mit der Faust gegen die Tür. Es war, als hätte er gegen eine massive Wand geschlagen. Kein hohler Ton, kein Echo auf der anderen Seite.
    Wolle pfiff durch die Zähne. »Isoliert, mit Beton verstärkt, drei Lagen Stahl oder Ähnliches. Das ist eher eine Tresortür«, flüsterte der kleine Mann andächtig.
    »Ja, aber uns fehlt die Kombination«, meinte Marzin nachdenklich, »und die Möglichkeit, sie einzugeben.« Er legte die flache Hand auf die raue Oberfläche und strich vorsichtig darüber hinweg. Wieder rieselten die Farbflocken lautlos zu Boden. »Das ist keine normale Bunkertür, kein Notausgang oder Ähnliches«, dachte er laut und Wolle nickte.
    »Es könnte die Rückseite einer Sicherungstüre sein«, gab der Ältere zu bedenken, zog seinen Helm vom Kopf und kratzte sich. Peter Marzin zuckte mit den Schultern. »Bei denen gibt es auch immer die Möglichkeit, sie von beiden Seiten zu öffnen, für den Notfall«, erinnerte er Wolle.
    »Also Sackgasse«, gab der kleine Mann trocken zurück, »wie so oft in diesem dunklen Geschäft. Komm, lass uns als Erinnerung ein paar leere Flaschen mitnehmen und endlich aus dieser Gestankwolke verschwinden.«
    »Du gibst auf, alter Mann?« Marzin lächelte spöttisch und holte eine starke Taschenlampe und einen schweren Schraubenzieher aus seinem Rucksack. »Du kapitulierst vor einer verrosteten Tür und ein bisschen schlechter Luft? Nimm lieber ein paar Flaschen und steck Kerzen hinein. Wozu haben wir sie sonst mitgenommen? Dann sehen wir mehr.«
    Doch eine halbe Stunde später waren sie noch keinen Schritt weiter gekommen. Die Türe schloss fast fugenlos mit dem Mauerwerk ab, es gab keine elektrischen Drähte, keine Schalter, keine versteckten Riegel oder Spuren am Boden, dass sie jemals geöffnet worden wäre. Wolle hatte die Ziegelreihe entlang der Fuge abgeklopft, alle klangen massiv.
    Peter Marzin seufzte enttäuscht. Er nahm eine der Flaschen mit der Kerze, ein alter Rioja, Jahrgang 1907, wie er dem verstaubten und halb zerfallenen Etikett entnahm, trat an die Wand und hob die Flamme nahe an die Fuge zwischen Wand und Türe. Die Kerze flackerte nicht. Sie brannte ganz still weiter.
    »Hast du den Sprengstoff mitgenommen?«,
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