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Narr

Narr

Titel: Narr
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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weg«, erwiderte Wagner rasch und unterdrückte das Bedürfnis, weiter nachzufragen. Er steckte das Telefon ein und setzte den weißen Vollvisierhelm mit den fünf dunkelroten gotischen Buchstaben A.E.I.O.U und den beiden chinesischen Drachen wieder auf. Mit aufheulendem Motor beschleunigte die Fireblade vom Parkplatz auf die Straße, wurde rasch kleiner und verschwand schließlich um die nächste Kehre im Dunkel der Nacht.
    Schloss Schönbrunn, Wien/Österreich
    D er Abend war mühsam gewesen. Der Empfang der Finanzminister der Europäischen Union samt ihren Frauen im Bundeskanzleramt war noch erträglich gewesen, dann hatten sich die Herren zu Beratungen in die Hofburg zurückgezogen und der österreichischen Ministerin für Wirtschaft, Familie und Jugend war die Aufgabe zugefallen, die Damen in das weltberühmte Marionettentheater in Schloss Schönbrunn zu begleiten, wo man Mozarts »Zauberflöte« gab. Der Bankenskandal, der die meisten Länder Europas bis in die Grundfesten erschüttert und auch in Österreich ein Erdbeben in der Banken- und Wirtschaftslandschaft ausgelöst hatte, führte die Minister seit Monaten immer wieder zusammen, in wechselnden Hauptstädten, aber immer in derselben Besetzung. So trafen sich die Gattinnen der Staatsdiener öfter als sonst, wie zu einem ambulanten Fünf-Uhr-Tee in London oder Bukarest, Rom oder Prag. Diesmal war die Sitzung in Wien anberaumt worden und wieder waren alle gekommen. Die Hauptstadt Österreichs zählte weltweit gesehen zu den angenehmen und überaus beliebten Konferenzstädten.
    Diesmal jedoch stand der Abend unter einem schlechten Stern, eine Panne jagte die nächste und Claudia Panosch, die jüngste Ministerin im Kabinett, war von der Rolle der Gastgeberin schnell in die Rolle der beschwichtigenden und entschuldigenden Problemlöserin gedrängt worden.
    Erst hatte der Bus eine Panne gehabt, der die Damen vom Heldenplatz in das Schloss Schönbrunn bringen sollte. Mitten auf der Mariahilfer Straße hatte der schwarze Bus mit einem lauten Krach und einer bläulichen Wolke aus dem Motorraum seinen Dienst quittiert und die Fahrt war plötzlich zu Ende gewesen. Die Begleitfahrzeuge mit den nervösen Leibwächtern hatten sich wie eine Wagenburg rundum aufgebaut und den Abendverkehr auf Wiens Einkaufsstraße völlig zum Erliegen gebracht. Erboste Autofahrer und genervte Busfahrer hatten ein Hupkonzert veranstaltet, das die misstönende Hintergrundmusik lieferte, während die Ministergattinnen warteten. Nachdem die Fahrbereitschaft in Windeseile zusätzliche Fahrzeuge aufgetrieben hatte, waren die Damen schließlich, erheblich verspätet, auf ihren Logenplätzen in Schönbrunn eingetroffen.
    Mit seiner säuerlichen Miene schien der Intendant des Marionettentheaters die Ministerin persönlich dafür verantwortlich zu machen, als er Panosch bei der Vorstellung der Ministergattinnen einen vernichtenden Blick zuwarf. Panosch lächelte und litt. Dann hatte sich herausgestellt, dass in dem kleinen, aber völlig ausgebuchten Theater nicht genügend Sitzplätze für die ausländischen Sicherheitsbeamten reserviert worden waren, und zu guter Letzt war mitten im zweiten Akt der Gattin des polnischen Finanzministers schlecht geworden. Und zwar sehr schlecht. Sie übergab sich mitten in die Zuschauerreihen und die Vorstellung musste unterbrochen werden.
    Schließlich war es Mitternacht geworden, kurz bevor die »Zauberflöte« zu Ende ging. Als die Gattinnen der Delegierten dann endlich wieder in einem neuen Bus untergebracht waren und die Heimfahrt in ihre jeweiligen Hotels antraten, war Claudia Panosch erschöpft. Zum Glück war ihre langjährige Sekretärin Wilma Palm ihr nicht von der Seite gewichen und hatte sich als Stütze im Sturm erwiesen – wie bereits in der gesamten vergangenen Legislaturperiode.
    »Danke, das war genug für heute«, seufzte Panosch leise der neben ihr stehenden Palm zu und schaute dem letzten schwarzen Mercedes mit Leibwächtern und Sicherheitsleuten hinterher. Die schwere Limousine beschleunigte auf dem Kiesplatz vor dem Theater und hinterließ eine hellgraue Staubwolke in der warmen Nachtluft. Die beiden weiblichen Sicherheitsbeamten warteten hinter ihr, bis auch sie sich in ihren Dienstwagen setzen und auf den Weg nach Hause machen würde.
    Die Ministerin schüttelte müde den Kopf und legte der kleineren, untersetzten Palm, die mit ihren kurz geschnittenen blonden Haaren und ihrem langen Abendkleid wie eine der Marionettenfiguren aus Mozarts
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